ENDLICH ANGEKOMMEN: Langzeitpraktikantin
Andrea bin ich nur einmal persönlich begegnet. Da war sie „press liaison“ für irgendeine künstlerische Aktivität in Prenzlauer Berg. Eine Menge unbezahlte Arbeit, aber sie war halt frisch in Berlin. Sie hatte gerade den B2-Kurs beim Goethe-Institut bestanden. Wir redeten trotzdem Englisch.
Sie hatte in London auf einer kostspieligen Privatschule die Kunst der Technoproduktion erlernt. Da dies nicht zu einem festen Einkommen führte und weil London teuer ist, zog sie nach Berlin, als sie von einem Bekannten hörte, wie niedrig hier die Mieten seien. Neben der Arbeit als Langzeitpraktikantin bei der besagten Kunstaktivität studierte sie Marketing, abermals an einer Privatschule, in der der Unterricht auf Englisch war.
Seither tauchte Andrea von Zeit zu Zeit in meiner Facebook-Timeline auf: Bilder mit bedröhnten Freunden in Berliner Clubs, in froher Runde am Kreuzberger WG-Küchentisch, mit Sterni-Flasche in der Hand in einer Kneipe in Friedrichshain. Und dann plötzlich in Meditationspose in einem Kloster in Kambodscha. Ich chatte sie an und erfahre: Andrea hat in Südostasien Zwischenstation gemacht auf dem Weg nach Australien, wo sie nach Arbeit suchen will. In Berlin hatte das nicht geklappt. Außerdem war ihr der hiesige Winter zu kalt. Nun überlegte sie, länger in Kambodscha zu bleiben, um aus den dortigen Natur- und Straßengeräuschen elektronische Musik zu machen.
Davon ist sie aber offenbar wieder abgekommen. Heute Morgen kam eine Facebook-Nachricht aus Melbourne. „Endlich angekommen“, teilt sie ihren Facebook-Freunden mit. Superwetter da, und ein kleines Apartment hat sie auch schon – wer kommt sie als Erster besuchen? Ob sie vorhat, nach Berlin zurückzukommen, frage ich. Vielleicht im nächsten Frühjahr, wenn es nicht so kalt ist, schreibt sie zurück. Vielleicht aber auch gar nicht. TILMAN BAUMGÄRTEL
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