Mietspiegel wird zum Politikum

URTEIL Das Landgericht erklärte im April den Mietspiegel für gültig. Doch veröffentlicht wurde nur ein gegenteiliges Urteil vom Mai. Ein Skandal, meint der Mieterverein

„Es ist ein Skandal, dass die Justiz darauf nicht hinwies“

REINER WILD, MIETERVEREIN

VON UWE RADA

Gute Nachricht für die Bewohner der 1,6 Millionen Mietwohnungen in Berlin. Der Mietspiegel bleibt auch weiterhin gültig. Das hat die 18. Kammer des Landgerichts in einem Berufungsverfahren entschieden, wie der Mieterverein mitteilte. „Wir begrüßen das Urteil des Landgerichts“, erklärte Mietervereinsgeschäftsführer Reiner Wild. Es beseitige die Unsicherheit, die zwischenzeitlich aufgetreten sei.

Die Unsicherheit, auf die Wild anspielt, geht auf ein Urteil des Amtsgerichts vom 11. Mai zurück. Darin hatte eine Amtsrichterin den Mietspiegel von 2013 als „unqualifiziert“ abgelehnt. Dieses vermieterfreundliche Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. In nächster Instanz ist hier ebenfalls die 18. Kammer des Landgerichts zuständig.

Fall Stuttgarter Platz

In dem Fall, der erst jetzt bekannt wurde, ging es um ein Haus am Stuttgarter Platz. Der Vermieter wollte eine Mieterhöhung von 708 auf 850 Euro nettokalt durchsetzen und begründete dies mit fünf Vergleichswohnungen. Der Mietspiegel, der in Berlin die ortsübliche Vergleichsmiete definiert, sei in seinem Falle nicht gültig, argumentierte der Vermieter. Der Grund: Die Adresse Stuttgarter Platz sei im Mitspiegel von 2013 nur als „mittlere Wohnlage“ eingestuft.

Nachdem er in erster Instanz gescheitert war, zog der Vermieter vor das Landgericht. Vergebens, wie der Mieterverein nun das Urteil zitiert: „Die Richter werteten den Mietspiegel 2013 als qualifizierten Mietspiegel, der nach anerkannten wissenschaftlichen Methoden erstellt wurde.“

Im Kern bedeutet das, dass Vermieter in Berlin sich bei einer Mieterhöhung weiterhin an den Mietspiegel halten müssen. Das Heranziehen von Vergleichswohnungen ist nicht möglich. „Nach dem bisherigen Stand der Rechtsprechung können die Berliner Mietspiegel also weiterhin zur Kontrolle von Mieterhöhungen genutzt werden“, erklärte Wild. Die Revision gegen das Urteil sei nicht zugelassen worden.

Interessant an diesem Urteil ist aber nicht nur die juristische, sondern auch eine mögliche politische Dimension. Denn das Pro-Mietspiegel-Urteil des Landgerichts, das erst durch den Mieterverein bekannt gemacht wurde, datiert vom 20. April. Es fiel damit zeitlich vor das Contra-Mietspiegel-Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg-Wilmersdorf, das am 11. Mai von der Justizpressestelle veröffentlicht wurde und die Eigentümerseite jubeln ließ. Zu diesem Zeitpunkt war also längst klar, dass eine höhere Instanz bereits für den Mietspiegel entschieden hatte.

Für Mietervereinschef Reiner Wild ein Unding: „Es ist ein Skandal, dass die Justizpressestelle weder auf das vorher ergangene Urteil der zuständigen Berufungskammer noch auf die fünf zuvor ergangenen Urteile des Amtsgerichts Charlottenburg verwiesen hat, in denen der Mietspiegel 2013 als ein qualifizierter Mietspiegel bestätigt wurde.“ Wild fordert nun von Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) eine Erklärung.

Justizsprecherin Annette Gabriel kommentierte die Informationspanne gegenüber der taz damit, dass das Landgerichtsurteil nicht in die „Tabelle interessanter Entscheidungen“ aufgenommen worden sei. „Hier sind Urteile verzeichnet, die die Richter für wichtig erachten“, so Gabriel. „Das Amtsgericht hat seinen Fall gemeldet, das Landgericht aber nicht.“