„Assad braucht militärischen Druck“

SYRIEN Heute beginnt in Paris die Konferenz der Anti-IS-Allianz. Die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner über die Fehler der Bundesregierung, No-Fly-Zonen und Auswege aus dem Krieg

■ ist seit 2013 Bundestagsabgeordnete der Grünen und Vorsitzende des Unterausschusses für Zivile Krisenprävention. Zuvor war sie Mitglied des Europaparlaments.

taz: Frau Brantner, wie sieht Ihr Worst-Case-Szenario für das nächste halbe Jahr in Syrien aus?

Brantner: Dass es so wie jetzt weitergeht. Eine militärische Intervention durch diverse Parteien, vom Westen gegen IS, ohne dass Ansätze für eine politische Lösung entwickelt werden, sodass sich die Situation für die Zivilisten weiter verschlechtert und die Zerstörungen weitergehen. Eine Teilung Syriens wird dann noch wahrscheinlicher.

Sie rechnen nicht damit, dass IS weitere bedeutende Geländegewinne erzielt, etwa Richtung Damaskus oder Aleppo?

Hier Gewinne, da Verluste. Aber Damaskus scheint derzeit nicht auf dem Plan des IS zu stehen. Die USA wollen einzelne Städte durch ihre Luftschläge gegen den IS halten. Ich bin aber skeptisch, ob so der Frieden näherkommt.

Was erwarten Sie von der Anti-IS-Konferenz in Paris?

Mich haben die Aussagen des französischen Außenministers Laurent Fabius optimistisch gestimmt, dass man politische Antworten erarbeiten muss. Er hat auch gesagt, dass die Voraussetzung für Hilfe an die irakische Regierung ist, dass sie sich anders aufstellt, also die Sunniten einbezieht. Und Assad braucht militärischen Druck, aber auch einen politischen Rahmen.

Was heißt „militärischer Druck“?

Es gibt UN-Resolutionen, die den Einsatz von Chlorgas verurteilen und vorsehen, dagegen nach Kapitel VII der UN-Charta militärisch vorzugehen. Auch Fassbomben, die das Assad-Regime abwirft, wurden in Resolution 2139 geächtet.

Das ist die alte Debatte um eine No-Fly-Zone über Syrien.

Deren Umsetzung wäre zwar schwierig, weil die Fassbomben von Hubschraubern und nicht von Flugzeugen abgeworfen werden. Aber wenn man signalisieren würde, den Einsatz von Fassbomben tolerieren wir nicht, wäre das ein wichtiger Schritt. Derzeit werden die Nachrichten aus Syrien einfach hingenommen.

Wie könnte eine politische Lösung für Syrien aussehen?

Es sieht zwar derzeit hoffnungslos aus. Aber dennoch gilt: Wir brauchen eine inklusive Übergangsregierung, an der zwar nicht Assad, aber jemand von der jetzigen Rumpfregierung beteiligt ist. An dem Prozess dürfen nicht nur die Kriegsparteien beteiligt werden, sondern muss auch die Bevölkerung gehört werden. Und dann muss eine Roadmap entwickelt werden mit Maßnahmen, die gegenseitiges Vertrauen schaffen. Es kann sein, dass am Ende die UN einen solchen Prozess absichern müssen, weil es so viel Hass und Angst vor Rache gibt.

Das bedeutet den Einsatz einer Friedenstruppe?

Nicht unbedingt, aber es müssten wohl mehr sein als die 300 UN-Beobachter, die 2012 in Syrien im Einsatz waren.

Wie beurteilen Sie die Strategie der Bundesregierung?

Ich sehe keine Strategie. Bezüglich des humanitären Zugangs zu den Kriegsgebieten gibt es eine Initiative, bei der Deutschland nicht besonders aufgefallen ist. Die Bundesregierung könnte auch die Diskussion über die schon verabschiedeten UN-Resolutionen führen. Sie könnte führend sein, wenn es um die Zukunft Syriens geht. Derzeit herrscht Stillstand aufgrund der „Iran first“-Politik: Bevor das Atomabkommen nicht unter Dach und Fach ist, kümmert man sich kaum um die anderen Konflikte in der Region. Dabei ist klar, dass es ohne alle regionalen Akteure, also den Iran, aber auch jene, die einen Deal mit dem Iran fürchten, keinen Frieden geben wird. Assad und IS nutzen die Situation.

INTERVIEW: MARTIN REEH