LESERINNENBRIEFE
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Meinungsmache

■ betr.: „Kita-Eltern am Limit“, taz vom 28. 5. 15

Ich, eine Streikende, bin fassungslos, wie die taz zunehmend undifferenziert und parteiisch über den Streik der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst (und nicht Kitastreik) berichtet. Habe ich überlesen, dass die Forderungen der Beschäftigten von der taz näher dargelegt wurden? Oder dass die taz berichtet hat, dass seit 21. Mai die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) ihr Angebot nicht verändert hat? So beteiligt die taz sich an der Meinungsmache, welche sie bei anderen Medien kritisiert. Es ist keine Frage, dass die Situation der betroffenen Familien mit der Länge des Streikes schwieriger wird. Den Sündenbock bei Verdi zu suchen, ist aber falsch. Nur wenn alle Fakten und Sichtweisen öffentlich gemacht werden, kann sich jeder eine eigene Meinung bilden.

ANKE GIRMANN, Heilpädagogin, Köln

In der Kita wird nichts produziert

■ betr.: „Weg vom Mythos der Ersatzmama“, taz vom 22. 5. 15

Sie haben in Ihrem Kommentar auf Seite 1 leider etwas sehr Wesentliches vergessen: Es geht neben der Höhergruppierung für ErzieherInnen um viel mehr. Es geht um einen besseren Personalschlüssel für alle Kinder bis zur Einschulung. Der Berliner Personalschlüssel ist der Zweitschlechteste in Deutschland!

Kleinkinder brauchen verlässliche und zugewandte Bezugspersonen, die mit ihnen in einer engen Beziehung stehen. Das zuzulassen ist eine große professionelle Aufgabe. Mit einem Kind die Welt und die Sprache zu entdecken, erfordert sehr viel Zeit und Geduld. Aber, nur so gedeihen Kinder gut. Eine „dünne“ Personaldecke führt zu Stress und Überbelastung bei den ErzieherInnen, den die Kinder als Erste spüren. Kinder werden äußerst bedürftig, wenn nicht genug Zeit und Zuwendung für sie da sind. Die Probleme, die dadurch entstehen sind mannigfach. Und: Kinder brauchen in der Regel keine Erzieherin, die Sozialarbeiterin, Sprachpädagogin und Therapeutin ist. Wie kommen Sie dazu, das anzunehmen? Als ehemalige Kitaleiterin mit 25 Jahren Berufserfahrung habe ich mir immer ErzieherInnen gewünscht, die hochsensibel und aufmerksam sind und sich Unterstützung holen, wenn es notwendig sein sollte.

In einer Kita wird nichts produziert. Was für ein Leistungsdenken bringen Sie da ein? Kinder wollen für das Leben lernen, mit viel Freude an Ihrem eigenen Tun und dem der anderen. So entstehen Eigenmotivation und Kreativität. Das ist das, was diese Stadt und dieses Land brauchen. THERESIA DORSCHFELDT, Berlin

Gysis Realitätsverlust

■ betr.: „Ich kann auch still sein“, taz vom 30./31. 5. 15

Es macht sprachlos und wütend zugleich, dass Gregor Gysi nicht näher bezeichnete Zugeständnisse für eine mögliche künftige Mitte-links-Regierung einräumen möchte. Auf dem Altar der Macht will er auch die friedenspolitischen Grundsätze der Linken opfern und meint sogar, dass steuerpolitische Konfliktpunkte wesentlicher als gegenwärtige Differenzen in außenpolitischen Zielen unserer Partei zur SPD und den Grünen seien. Damit zeichnet sich ein nicht hinnehmbarer Paradigmenwechsel zumindest in der Führungsetage der Linken ab. Dies würde die endgültige Aufgabe unserer gesellschaftspolitischen Visionen von einer antikapitalistischen, antimilitaristischen und antifaschistischen Gesellschaft bedeuten.

Wir sollen mit denen koalieren, die Kriegseinsätze, die Verelendung von Bürgerinnen und Bürgern durch Hartz IV und den Schulterschluss mit faschistischen Elementen in der Ukraine nahezu vorbehaltlos unterstützen und befördern? Wir sollen unsere beschlossene Programmatik, in engagierten sowie aufreibenden Wahlkämpfen und mit Entschlossenheit öffentlich geführt sowie verteidigt, für Ergebnisse von „Hinterzimmergesprächen“ mit Sigmar Gabriel aufgeben? Worin besteht das politische Entgegenkommen von SPD und Grünen zur Schaffung einer friedlichen und sozialen Bundesrepublik? Welch Realitätsverlust bei Gregor Gysi, wenn er meint, dass uns der öffentlich erklärte Wille für eine Regierungsbeteiligung mehr als 10 Prozent Zustimmung bei Wahlen bringen würde. Kann er die Wahlergebnisse zu Landtagswahlen, wo wir überdurchschnittlich vor allem bei Regierungsbeteiligung an Wählerstimmen verloren haben, vergessen?!

Ganz entschieden möchte ich dem widersprechen, dass die Linke den Politikwechsel nicht wirklich will. Für eine andere Politik bin ich in dieser Partei geblieben und habe mit meinen Genossinnen und Genossen im Ortsverband Sonnenberg/Chemnitz angestrengt gearbeitet und Erfolge erzielt, aber nicht um den Preis der Selbstaufgabe zugunsten von Macht. RAIMON BRETE, Chemnitz

Heiligenschein

■ betr.: „Das Leben ist ein manipulierbarer Traum“, taz vom 29. 5. 15

Neurochirurgische Gedächtnismanipulation als Zukunftsmusik“ – ich erwartete wenigstens eine kritische Anmerkung – Fehlanzeige! Dass Gedächtnisinhalte sich durch Denken und Fühlen verändern, ist Menschen, die an sich arbeiten, auch ohne Hirnforschung und Tierversuche klar, das gehört zur menschlichen Bewusstwerdung und keinesfalls in die Hände von Leuten, die hier etwas „ein- und ausschalten“. Auf den pseudotherapeutischen Heiligenschein hereinzufallen, ist naiv. Medizin ist Politik: das sogenannte Böse wird bekämpft. Was kommt da noch auf uns zu? Von einer Privatsphäre ist eh nicht mehr viel übrig; nach der Enteignung des Gedächtnisses würde man sich nicht mal mehr erinnern können, was das überhaupt gewesen sein könnte. AXEL DÖRING, Bremen