Endspurt im Mieterkampf

WOHNEN Eine schöne Wohnung in begehrter Lage, viele interessierte Paare – und ein Vermieter, der es plötzlich sehr eilig hat. Die Geschichte einer Vermietung, mit der kommenden Mietpreisbremse im Blick

■ Berlin ist eine Mieterstadt. 85 Prozent aller Berlinerinnen und Berliner leben zur Miete. Mietpolitik, ob Bundesrecht oder Landesrecht, ist für die 3,5 Millionen Berliner also existenziell.

■ Am 1. Juni tritt die Mietpreisbremse in Kraft. Bei Wiedervermietungen dürfen die Vermieter nicht mehr verlangen, was der Markt hergibt. Stattdessen darf die Miete nur noch zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Allerdings gibt es zahlreiche Ausnahmen.

■ Die ortsübliche Vergleichsmiete wird in Berlin über den Mietspiegel ermittelt, der soeben vorgestellt wurde. Allerdings drohen viele Vermieter mit Klagen gegen das Zahlenwerk. Das Amtsgericht Charlottenburg-Wilmersdorf hat in einem Urteil den Vorgänger-Mitspiegel bereits für nichtig erklärt.

■ Viel weiter als die Mietenbremse geht der Mietenvolksentscheid. Gefordert werden preisgünstiger Neubau, mehr Kontrolle bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und Mietpreisbegrenzungen bei Sozialwohnungen. Die erste Hürde mit 20.000 Unterschriften wurde am Wochenende genommen. (taz)

VON NINA APIN

Mit glänzenden Augen streift das Pärchen durch die Wohnung. „Tolle helle Wohnküche“, freut sich Felix, während seine Freundin Tina erfreut das Wohnzimmer mit Südbalkon begutachtet. Nach zehn Minuten Wohnungsbesichtigung ist sich das Pärchen, das mit Baby im Tragetuch gekommen ist, einig: Diese Wohnung hätten sie gern.

Der Tipp von einer Bekannten war aus ihrer Sicht ein Volltreffer. Der erste in sechs Wochen. Allerdings suchen die beiden, denen ihre Zwei-Zimmer-Wohnung in Friedrichshain zu klein geworden ist, noch nicht sehr intensiv, wie Tina einräumt. Zeitdruck haben sie keinen, Qualität ist ihnen wichtiger.

„Im Internet steht nur Schrott“, ist Felix überzeugt. Der Berliner Wohnungsmarkt sei in den letzten Jahren recht rau geworden. Aber als Volkswirt und aufgeklärter Konsument sei er nicht gewillt, sich über den Tisch ziehen zu lassen.

Zweieinhalb Zimmer, Stuck, Dielen und nur drei Minuten bis zur S-Bahn. Die Rahmendaten stimmen. Jetzt ist nur noch die Frage nach der Miethöhe offen. „Wie viel zahlt ihr jetzt? Ist das Haus wärmegedämmt, wie hoch sind die Heizkosten?“, will Felix von der Noch-Mieterin wissen. Er verhält sich so, wie es der Berliner Mieterverein kurz vor Inkrafttreten der Mietpreisbremse seinen Mitgliedern rät: Erkundigungen beim Vormieter einholen, Taschenrechner rausholen. Und dann von den neuen Rechten Gebrauch machen, die ab dem 1. Juni jedem neuen Mieter einer Wohnung zustehen. Noch ist die Wohnung, die Felix und Tina einen Monat, bevor die Mietpreisbremse in Kraft tritt, so gut gefällt, nicht offiziell gekündigt.

Wenn es ihnen gelänge, den neuen Mietvertrag erst nach dem 1. Juni zu unterschreiben, könnten sie sich die saftige Erhöhung sparen, die bei einer Neuvermietung üblicherweise fällig wird. Hofft Felix und zieht einen Zettel aus der Tasche: mittlere Wohnlage, Baujahr vor 1918 – knapp sechs Euro nettokalt beträgt die ortsübliche Vergleichsmiete in dem ruhigen Kiez am Wasser. Da die Wohnung mit knapp neun Euro bereits deutlich darüber liegt, darf sie nicht mehr teurer werden. Felix nickt zufrieden und steckt den Zettel wieder ein. 850 Euro warm, ja, das ginge für den Uni-Mitarbeiter und seine Frau.

Drei Tage später kündigen die derzeitigen Mieter die Wohnung – und geben Felix und Tina Bescheid: Jetzt bewerben und auf Zeit spielen! Noch schneller ist allerdings die Reaktion des Vermieters. Sofort nach Erhalt der Kündigung fotografiert er die Wohnung.

Wenig später steht eine Annonce im Internet. Natürlich hat der Vermieter die Miete erhöht – und zwar kräftig: „Wunderschöner Altbau in begehrter Lage am Tiergarten“, 84,81 Quadratmeter Wohnfläche für 965 Euro kalt. Das sind 11,37 Euro nettokalt.

11,37 Euro nettokalt? Wenn man Heiz- und Nebenkosten dazurechnet, soll die Wohnung bald 1.100 Euro warm kosten.

Eine Woche später erscheinen Interessenten zur Sammelbesichtigung. Sechs Paare, alle ohne Kinder, alle zwischen Mitte zwanzig und Mitte vierzig. Sie begutachten die hohe Satteldecke in der Küche, die geschmackvollen Steinfliesen, die geräumige Abstellkammer. Sie quetschen sich in das halbe Zimmer, das kaum sechs Quadratmeter misst und bestaunen den Gründerzeitstuck im Wohnzimmer. Der Vermieter hebt das „gehobene Wohnumfeld“ in Spree- und Tiergartennähe hervor und lobt den guten Mix im Haus – hier lebten noch Gering- und Gutverdiener, Studenten und Akademiker unter einem Dach. Es sind nur noch sechs Tage bis zum Inkrafttreten der Mietpreisbremse. Doch die scheint für keinen der Interessenten eine Rolle zu spielen. Nur für den Vermieter. Mit den Bewerbungen werde man jetzt ganz schnell verfahren, verspricht er – noch zum Ende der Woche seien die Verträge unterschriftsreif.

Hat seine Eile mit der Mietpreisbremse zu tun? „Natürlich auch“, lächelt der Vermieter gelassen. Er weiß, dass er die Wohnung noch zum Ende der Woche los werden wird. „Das Interesse ist da“, sagt er – niemand wird auf Zeit spielen und dabei Gefahr laufen, die Wohnung dann nicht zu bekommen.

Ein Paar bleibt länger auf dem Balkon stehen, erkundigt sich nach den Nachbarn und danach, wie dicht die doppelten Altbaufenster schließen. Nach der aktuellen Miete fragen sie nicht – auch den Ordner mit dem aktuellen Mietvertrag, den die Noch-Mieterin gut sichtbar auf dem Tisch platziert hat, ignorieren sie. „Wir wollen es lieber gar nicht wissen, es würde uns doch nur ärgern“, sagt der Mann. Und die Frau ergänzt: „Wenn die Wohnung schön ist und wir die wollen, dann ist es eben so.“

Als alle weg sind, sammelt der Vermieter die Bögen wieder ein. „Das sollte geklappt haben“, nickt er. Schnell noch das Maximum herausgeholt.

Felix und Tina haben ihre Bewerbung wieder zurückgezogen. Als er die Miethöhe sah, 94 Prozent über dem Durchschnittswert des aktuellen Mietspiegels, schickte Felix dem Vermieter eine wütende E-Mail. Von Wucher und Ordnungswidrigkeiten ist darin die Rede. Seine anfängliche Euphorie über die Mietpreisbremse ist inzwischen einer Ernüchterung gewichen. „Ich bin mir nicht mehr sicher, ob dieses Instrument uns Mieter wirklich schützt“, sagt er. Nicht nur, weil es mit der Wohnung in Tiergarten nicht geklappt hat. Da ist dazu diese allgemeine Unsicherheit, die niemand so recht beseitigen kann: Erst kürzlich hat das Amtsgericht Charlottenburg den Mietspiegel für 2013 gekippt – wer sagt, dass nicht auch der aktuelle Mietspiegel in Zweifel gezogen wird? Dann wäre die Vergleichsgröße weg – und damit die Handhabe für Mieter, der Geldgier von Wohnungseigentümern Grenzen zu setzen.

Auch dass Experten ihm im Zweifelsfall helfen können, bezweifelt Felix nun. Erst vor einer Woche ist er dem Mieterschutzbund beigetreten. Doch die Anwältin, auf die er dort bei diesem vergleichsweise kleinen Verein traf, konnte keine seiner Fragen beantworten. Enttäuscht trat Felix wieder aus. Und verlässt sich jetzt lieber auf bewährte Mietertricks: Felix und Tina haben eine weitere Wohnung in Aussicht. Wieder sind es Bekannte, die ausziehen wollen und mit der Kündigung absichtlich noch so lange warten, dass der Vermieter keine Chance mehr haben wird, die Wohnung noch vor Inkrafttreten der Bremse neu zu vermieten. Trotzdem werden Felix und Tina auch für diese Wohnung eine Miete zahlen müssen, die über ihrer selbst gesetzten Schmerzgrenze von einem Drittel des Haushaltseinkommen liegt. Denn im aktuellen Mietspiegel ist aus einer bisher einfachen eine mittlere Wohnlage geworden, die „ortsübliche Vergleichsmiete“ entsprechend teurer. Zwanzig Euro liege die Preisvorstellung des Vermieters jetzt über der Grenze, die von der Bremse markiert wird.

Aber deshalb ein Fass aufmachen und mit dem Vermieter in spe streiten – wo es bestimmt viele andere Mietinteressenten gibt, die weniger preisbewusst oder selbstbewusst sind? Felix seufzt. Die Bremse sei ja gut gemeint. Aber es bleibe eben ein Vermietermarkt – mit vielen Schlupflöchern. So lange jedenfalls, wie Wohnungen in der Innenstadt knapp sind.