Radverkehr: Bloß keinen Konflikt riskieren

PARLAMENT Rot-Schwarz will zwar das Radeln fördern – aber nicht gegen die Autofahrer. Die CDU fordert sogar Kennzeichen für Räder

Zweimal zehn Minuten Redezeit sind vorbei, und aus dem Kreis ist immer noch kein Quadrat geworden, so sehr sich SPD und CDU auch mühen. Zu wenig passt zusammen, was sie da an diesem Donnerstagmorgen im Abgeordnetenhaus von sich geben. Da begrüßen sie grundsätzlich mehr Radverkehr und sehen das sogar als Ziel der Koalition. Aber deswegen den Autoverkehr einengen? Nein, das dann doch nicht. Da braucht es schon Exsenator Harald Wolf als Verkehrsexperten der Linksfraktion, der da sagt, dass das eine ohne das andere nicht geht: „Da muss man in den Konflikt gehen, da muss man Prioritäten setzen.“

Es sind die Piraten, die die Fahrrad-Diskussion auf die Tagesordnung gesetzt haben. Aus ihrer Sicht gibt es bei dem Thema „null Punkte für den Senat“, der also für sie in gleicher Weise erfolglos ist wie jüngst die deutsche Vertreterin beim europäischen Liederwettstreit ESC. Das geht SPD und CDU natürlich viel zu weit. Der zuständige Senator Andreas Geisel geißelt die Piraten sogar, sie würden mit solchen Worten „den Ruf der Stadt beschädigen“ – und zählt Senatsanstrengungen auf: neue Radstreifen, Reparatur von alten, Radeln in Einbahnstraßen.

Bloß ist es für Piraten, Linke und Grüne ein Leichtes, Erfahrungen aus dem täglichen Verkehrsstress zu schildern, die so gar nicht zum Bild des Erfolgsmodells Berlin passen, dass die SPD und CDU am Rednerpult malen: Zugeparkte Radstreifen, kaum zu benutzende schmale Wege auf dem Bürgersteig, uneinsehbare Kreuzungen, wieder steigende Unfallzahlen – auch hier ist die Liste ist lang.

Dabei ginge es nicht nur für den Linkspartei-Mann Wolf ohne viel Finanzaufwand anders: Mehr kontrollieren, die Autofahrer erziehen, ihnen klar machen, „dass der Radstreifen keine freie Parkfläche ist“. Stefan Gelbhaar (Grüne) schlägt vor, Kreuzungen freier zu machen, also Parkplätze zu streichen, die die Sicht versperren – „wer sich sieht, der bringt sich nicht um“.

Rad fahren ausdrücklich zu favorisieren ist aber vor allem nicht im Sinn der CDU, die das Fahrrad nur als eine von mehreren Alternativen fördern will. Ihr Abgeordneter Oliver Friederici empfiehlt zum Thema Unfälle zudem, sich besser mit Helmen zu schützen. Und überhaupt sollten seiner Meinung nach Fahrräder Kennzeichen haben – „gleiches Recht für alle“.

Nähe oder Ferne zum Rad fahren deckt sich mit dem Ergebnis einer taz-Umfrage am Rande der Sitzung. Von den 29 Grünen waren nach Fraktionsangaben 15 mit dem Rad zum Parlament gekommen, bei den Piraten 5 von 15, bei der Linkspartei 5 von 18. Die Koalition hingegen bekommt eine solche Übersicht nicht hin – oder will das gar nicht. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir unsere Abgeordneten nicht überwachen“, heißt es von der SPD-Fraktion.

Der Grünen-Abgeordnete Gelbhaar hat so etwas möglicherweise im Hinterkopf, als er sagt, Radverkehr brauche Vorbilder. Von den Senatoren, stellt er unwidersprochen fest, habe er in den vergangenen vier Jahren aber nur einen auf dem Rad gesehen: Frank Henkel, beim Werben für Olympia. STEFAN ALBERTI