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MUSEUM Die Berlinische Galerie ist saniert und eröffnet mit der Schau „Radikal Modern“ mit Bauten aus dem Berlin der 60er Jahre

■ 2004 eröffnete die Berlinische Galerie (BG) als Landesmuseum für moderne Kunst, Fotografie und Architektur im Glaslager.

■ 2013 machte die Brandschutzanlage Ärger.

2014 wurde das Haus wegen der dringenden Sanierung geschlossen und wird heute – am 28. Mai 2015 – wieder eröffnet

■ Neben seiner großen Sammlung der klassischen Moderne und anderen Präsentationen zeigt die BG die Ausstellung „Radikal Modern. Planen und Bauen im Berlin der 1960er Jahre“. Bis 26. Oktober 2015, Mi.–Mo. 10–18 Uhr, Alte Jakobstraße 124/128 in Kreuzberg. Informationen unter www.berlinischegalerie.de. (taz)

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Aus Angst, die Sowjets könnten Westberlin ein zweites Mal blockieren und die Stadt in Versorgungsengpässe zwingen, legte der Berliner Senat in den 1960er Jahren große Lagerbestände an. Kohle und andere Brennstoffe, Baumaterial, Milch und Konserven, Medikamente wurden deponiert. Das Glaslager für Tausende Fensterscheiben befand sich in der Kreuzberger Alten Jakobstraße nahe dem Springerhochhaus in einem funktionalen, aber zugleich gesichtslosen 60er-Jahre-Bau mit weiten hohen Räumen. 1989 wurden die städtischen Lagerflächen aufgelöst. Seit 2004 befindet sich in dem Glashaus die Berlinische Galerie, das Berliner Landesmuseum für moderne Kunst, Fotografie und Architektur.

Es ist ein gelungener Zug, dass nach der Sanierung jetzt zur Wiedereröffnung der Berlinischen Galerie (BG) Ende dieser Woche sich das Museum in einer Ausstellung mit der Architekturgeschichte in Berlin Ost und West beschäftigt, in deren Zeit auch der Bau des Glaslagers fällt. „Radikal Modern. Planen und Bauen im Berlin der 1960er Jahre“ lautet der Titel der Schau. Sie ist ein längst fälliger Überblick zur Architektur und zum Städtebau der 60er Jahre, der bis heute das Berliner Stadtbild prägt.

Annäherung an eine ungeliebte Epoche

Gleichzeitig bedeuten die Modelle, Fotos und Pläne der Bauten jener Zeit eine wichtige Annäherung an eine ungeliebte Epoche in der Stadtplanung. Der sozialistische Städtebau im Osten und die betonierte Moderne auf den großen Stadtplätzen, breiten Verkehrsachsen und in den Großsiedlungen im Westen haben bis dato keinen guten Ruf. Als inhuman und unansehnlich kritisiert, sind in Berlin wichtige Zeugnisse heute verschwunden oder vom Abriss bedroht; darunter das DDR-Außenministerium, die HO-Gaststätte „Ahornblatt“, das Studentenwohnheim am Potsdamer Platz, das ICC oder der Steglitzer Kreisel.

Beim Glaslager selbst hat das Land Berlin 2004 die Auseinandersetzung mit dem baulichen Erbe so gelöst, dass der elf Meter hohe Betonkasten umgebaut, seine schöne Z-förmige Treppenanlage inszeniert und die Räume und Galerien umgenutzt werden konnten. Nachdem 2014 das in den 1970er Jahren gegründete Landesmuseum in der Alten Jakobstraße wieder schließen musste, damit der schlampig installierte Brandschutz erneuert werden konnte, nahm die Berlinische Galerie den sechs Millionen Euro teuren Umbau zum Anlass, das 60 mal 60 Meter große Haus noch besser zu gestalten.

Die Beleuchtung, die Sprinkleranlage und die Deckenkonstruktion sowie die Depots sind komplett erneuert. Geht man durch die vier Abteilungen des Museums, kommt es einem noch weißer, schnittiger und lichter entgegen. Es ist ein Gewinn für die Besucher, die zum Teil neu arrangierte und erweiterte Sammlung der 1920er Jahre, speziell mit Werken des Dadaismus – darunter ein großer Nachlass von Hannah Höch oder Otto Dix – und Werke aus der Zeit der Berliner Sezession oder die großzügig gehängten Wechselausstellungen jetzt betrachten zu können. Die Berlinische Galerie ist nach zwölf Monaten Schließung in der Museumslandschaft der Stadt wieder angekommen.

Von den Sanierungsarbeiten sei in den Räumen zwar konkret nicht allzu viel zu sehen, meint Thomas Köhler, Direktor des Hauses. „Die Architektur des Museumsgebäudes aber ist von hoher Flexibilität und bietet viele Möglichkeiten für eine variable Ausstellungsgestaltung.“ Die Ausgestaltung unterstütze die Projekte von Kuratoren und die Künstler gleichermaßen.

Natürlich ist der Verweis Köhlers auf die Flexibilität und Umnutzbarkeit des Glaslagers aus dem Jahr 1965 zu einem modernen Museumsbau heute als Seitenhieb auf die politischen Akteure und den Architekturstreit in Berlin gemünzt, die in den vergangenen 25 Jahren gerade die gebaute Moderne scharf attackierten und dieser kaum Chancen auf einen Bestand gaben. Geschweige denn ist dieser richtig gewürdigt worden.

Die Berlinische Galerie ist in der Museumslandschaft der Stadt wieder angekommen

Geht man durch die Schau „Radikal Modern“, werden die Abrisse und Überformungen nach dem Mauerfall 1989 noch einmal schmerzlich aufgelistet. Wer erinnert sich noch an den Innenausbau des Reichstags 1971 von Paul Baumgarten, das originale Centrum Warenhaus am Alexanderplatz, an den Leninplatz oder an das ursprüngliche Bikini- und Schimmelpfenghaus in der City West. Sie wurden abgerissen oder sind stark verändert worden, entsprachen sie doch nicht der konservativen baulichen Rekonstruktionsphilosophie im Berlin nach der Wiedervereinigung.

Aufbruchstimmung und Experimentierfreudigkeit

Die Ausstellung zeigt jedoch auch, dass moderne Architekturen wie die Neue Nationalgalerie, der Neubau neben der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche oder das DDR-Staatsratsgebäude durchaus eine Chance auf Akzeptanz hatten, beinhalteten sie eine narrative oder mimetische Sprache. Zudem wird in der Schau deutlich, dass im Nachkriegsberlin sich ab 1955 mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) im Hansaviertel und mit dem Umbau des Ostberliner Alexanderplatzes in den 1960er Jahren eine Aufbruchstimmung, ein Innovationsstreben, eine Experimentierfreudigkeit beim Bauen – in Abgrenzung zur NS-Zeit – entwickelte, die versuchte, Stadt, Architektur und Verkehr neu zu denken und zu gestalten. Daraus resultierten aber nicht allein so wunderbare Architekturen wie die Philharmonie von Hans Scharoun, sondern auch megalomane Megastrukturen wie die Großsiedlungen und Plattenbauviertel, die Autobahnplanungen mitten durch Berlin oder die Hochhausscheiben entlang der Leipziger Straße.

Diese Ost-West-Gegenüberstellungen provozieren am Ende die Frage, wie und ob das Nebeneinander und die Parallelen in Berlin genau funktionierten. Darauf bleibt die wichtige und radikale Schau die Antwort schuldig. Denn die Stadt war geteilt und die Verbindungen abgerissen – scheinbar.