TAGEBUCH EINER ALLEINREISENDEN: FOLGE DER SPUR DER LOSUNG!

VON PIA FRANKENBERG

Vor Kurzem wurde mir nahegelegt, ich solle mal ausspannen. Wegfahren, allein versteht sich, man soll auf Reisen ja „sich selbst finden“, statt mit der Begleitung rumzualbern. Mein Einspruch, eine Begegnung mit meinem Selbst garantiere nicht unbedingt Erholungswert, und die Anregung, sich das zum Beispiel von dem Telekom-Mitarbeiter bestätigen zu lassen, dem ich neulich in einem langen Gespräch mitteilte, wie es ist, dauerhaft von der Welt abgeschnitten zu sein, verhallte ungehört.

Unversehens befinde ich mich also, bewaffnet mit einer Zweiliterflasche Wasser, einem Not-Zwieback und einem Handy, in der Einsamkeit eines mallorquinischen Naturparks und wandere auf einem angeblich sechs Kilometer langen Pfad übers karge Hochland vorbei an reichlich Aussicht, die schön vom lästigen Selbst ablenkt.

Wie sich am Ende herausstellt, hat die ungeübte Wanderin nur den Hinweg berechnet, sodass wegen drohender Naturparkschließung unvorhergesehen Eile geboten ist. Eine angeborene Schwäche bei der Wiedererkennung von Wegkreuzungen erschwert zusätzlich den Rückweg; aber bevor Suchdrohnen erfleht werden müssen, hilft Gott sei Dank das eigene fotografische Gedächtnis, welches vorsorglich sämtliche den Pfad pflasternde tierische Ausscheidungen abgespeichert hat, man weiß ja nie, wozu so was mal gut ist: Da war dieser riesige, wie eine Hochzeitstorte geschichtete Haufen, dann kam der, der so aussieht wie eine Rosinenschnecke … Den gewaltigen Ausmaßen nach zu urteilen, muss es sich beim Verursacher um eine Art Mammut handeln. Jedenfalls finde ich auf diese Weise zwar nicht zu mir selbst, aber immerhin den Heimweg in die Zivilisation.

Unterwegs werden die verkonsumierten zwei Liter Wasser in die Natur entlassen; wenig später, vor einem Panorama, das geradezu nach einem Urlaubsbeweisfoto schreit, fehlt das Handy. Detektivisches Nachsinnen ergibt als einzig möglichen Fundort die Tasche jener Hose, die zwei Kilometer zuvor runtergelassen wurde. Den Tag verfluchend, an dem ich als Mädchen geboren wurde, stolpere ich zurück und ertaste ein Mobiltelefon in feuchter Lederhülle, welche, da biologisch abbaubar, umgehend entsorgt wird.

Nach 16 Kilometern Selbstfindungsparcours wartet das Mietauto auf dem Parkplatz, umstellt von einer Schaffamilie, deren Mitglieder die Wagentüren blockieren. Leider ist das mallorquinische Schaf gegen Autoalarm wie auch gutes Zureden immun, es bleibt nur Schafschieben, eine freizeitsportliche Disziplin aus Australien, das sich schon mit „Boote-durch-Wüsten-Tragen“ oder „Zwergenweitwurf“ einen Namen gemacht hat.

Der Tag klingt in der Strandkneipe aus, unter Touristen und bei zähem Grillfleisch. Da selbst die Kaumuskeln von Erschöpfung befallen sind, bleibt es im Halse stecken. Umgeben von Bierbäuchen und noch bevor ich es finden konnte, verröchelt still mein Selbst. Zeit für letzte Fragen: Kennt denn hier keiner das „Heimlich-Manöver“? Ist der Tod die ultimative Selbstfindung? Und hat die Telekom endlich die Störung behoben?