UNTERM STRICH

Wenn Fotografie sich dadurch definiert, dass sie, wie der nigerianische Fotograf J. D. Okhai Ojeikere (1930–2014) sagte, „Momente der Schönheit und Momente des Wissens dokumentiert“, dann lag der Akzent des fotografischen Werks der US-amerikanischen Fotografin Mary Ellen Mark deutlich auf der Seite des Wissens. Erst durch sie erfuhren wir überhaupt von den Obdachlosen, die jahrzehntelang in den stillgelegten Tunneln des New Yorker U-Bahn-Systems hausten. Sie machte uns auch mit der Lage von geistig Behinderten in Oregon bekannt oder fotografierte die Straßenkinder, wie sie sich in Seattle durchschlugen.

Mark begann ihre Arbeit als Dokumentarfotografin in den Sechzigerjahren. Ihre einfühlsamen Bildstrecken wurden in der New York Times, dem New Yorker, dem Rolling Stone Magazine und in der Vanity Fair veröffentlicht. 1977 wurde sie als eine der raren Frauen Mitglied der Fotoagentur Magnum, die sie allerdings schon 1981 wieder verließ, um ihr eigenes Studio aufzumachen. Sie produzierte insgesamt 18 Fotobücher. Gerade wollte sie das neunzehnte fertigstellen, in dem es um Tiny, eine junge Prostituierte aus Seattle geht, die sie schon für „Streetwise“, ihre berühmte Reportage über Stadt an der Westküste aus dem Jahr 1988 aufgenommen hatte.

Ihr Wahl war auf Seattle gefallen, weil die Stadt als die lebenswerteste Amerikas gilt. „Wenn es in dieser idealen Stadt Straßenkinder gibt, dann gibt es sie überall und wir beobachten ein großes soziales Problem“, sagte sie. „Streetwise“ entwickelte sich zu einem Dokumentarfilm, bei dem ihr Ehemann Martin Bell Regie führte. Am Montag ist die berühmte amerikanische Fotografin im Alter von 75 Jahren in New York gestorben.