„Das ist nicht die alte Vorratsdatenspeicherung“

ÜBERWACHUNG Regierung beschließt Gesetzentwurf zur anlasslosen Speicherung von Telefondaten

Justizminister Heiko Maas spricht von einem „vernünftigen Kompromiss“

FREIBURG taz | Es geht weiter schnell voran: Gestern verabschiedete die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Noch vor der Sommerpause soll das Gesetz im Bundestag beschlossen werden.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Telefon- und Internetfirmen zehn Wochen lang anlasslos die Verkehrsdaten aller Kunden speichern. Konkret wird festgehalten, wer wann mit wem telefoniert/gesimst hat und wer wann mit welcher IP-Adresse im Internet war. Nur vier Wochen wird gespeichert, in welcher Funkzelle sich ein Mobiltelefon einwählte. Die Polizei soll auf die Daten zur Aufklärung schwerer Verbrechen zugreifen können.

Der federführende Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte nach dem Kabinettsbeschluss, er könne die Skepsis von Netzpolitikern durchaus verstehen. Maas betonte jedoch: „Was wir jetzt beschließen, ist nicht die alte Vorratsdatenspeicherung, wie sie sich viele Sicherheitspolitiker gewünscht haben.“ Freiheitsrechte und Datenschutz seien gesichert. „Die Speicherfristen sind weit kürzer, der Zugriff auf die Daten deutlich schwerer als zuvor“, so Maas. Verkehrsdaten über E-Mails sollen diesmal nicht gespeichert werden. Wie bisher werden auch die Inhalte der Kommunikation und die im Internet angesehenen Webseiten nicht erfasst. Es handele sich um einen „vernünftigen Kompromiss“, sagt Maas.

Die 2008 erstmals eingeführte Vorratsdatenspeicherung sah eine sechsmonatige Speicherung der Verkehrsdaten vor. Auf die Daten durfte auch zur Aufklärung von Straftaten zugegriffen werden, die „mittels Telekommunikation“ begangen wurden. Das Gesetz wurde jedoch 2010 vom Bundesverfassungsgericht gekippt, vor allem weil die Sicherheit der gespeicherten Daten nicht ausreichend gewährleistet war.

In den Folgejahren konnte sich die schwarz-gelbe Koalition nicht auf eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung einigen. Die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bot nur eine zweiwöchige Speicherung der IP-Adressen an, was der Union zu wenig war – weshalb es gar kein Gesetz gab. Die EU-Kommission verklagte Deutschland deshalb 2012 wegen Nichtumsetzung der EU-Richtlinie.

Im schwarz-roten Koalitionsvertrag war zwar die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung vorgesehen, aber nur zur Umsetzung der EU-Vorgabe. „Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH“, hieß es im Vertrag. Als der Europäische Gerichtshof im April 2014 die EU-Richtlinie für unverhältnismäßig und nichtig erklärte, entfiel allerdings die Umsetzungspflicht. Justizminister Maas sprach damals von einem „Wegfall der Geschäftsgrundlage“.

Vermutlich gäbe es in Deutschland auch weiter keine Vorratsdatenspeicherung, wenn sich nicht SPD-Chef Sigmar Gabriel massiv für sie eingesetzt hätte. Im März wies er den Justizminister an, sich endlich mit Innenminister de Maizière (CDU) auf ein neues Modell zu einigen. Mitte April meldete Maas Vollzug. Nun soll das Gesetz so schnell wie möglich verabschiedet werden. Peter Schaar, der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte, kritisierte die Eile: „Es ist kein Grund für eine beschleunigte Beschlussfassung zu erkennen.“

Der Lobby-Verein „digitale Gesellschaft“ warnte: Die Vorratsdatenspeicherung werde gemeinsam mit anderen Überwachungsmaßnahmen „ein diffuses Gefühl des Beobachtetseins in der Bevölkerung erzeugen und damit die freiheitliche Konfiguration unserer Gesellschaft beschädigen“. Auch Politiker von Grünen, Linken und FDP protestierten gegen den Kabinettsbeschluss. Die im AK Vorrat zusammengeschlossenen Gegner der Vorratsdatenspeicherung kündigten für Samstag in Frankfurt am Main eine Demonstration unter dem Titel „Freiheit statt Angst“ an.

Der Deutsche Richterbund hält das Gesetz dagegen für zu lasch. Die kurzen Speicherfristen entsprächen nicht den „Bedürfnissen einer effektiven Strafrechtspflege“. CHRISTIAN RATH