ÜBER ECHTE UND FALSCHE GERMANEN
: Du überdeutsch?

MIGUEL SZYMANSKI

Vierteltürken, Halbjuden, die zweite Migrationsgeneration, Gastarbeiterkinder und andere „falsche Deutsche“ leben meist in der Furcht, von „echten Deutschen“ enttarnt zu werden. Wenige tragen ihr Kreuz oder ihren Stern komplexfrei und mit Würde. Viele werden überdeutsch.

Echte Ausländer haben in Deutschland drei Karriereoptionen: Putzkolonne, Straßenkriminalität oder eine ähnliche Form sozialer Marginalität, auch wenn sie als Altenpfleger oder Ärzte arbeiten. Allen drei gemeinsam ist die Unsichtbarkeit, zumindest bis die Vase beim Staubwischen vom Regal fällt oder die Polizeisirenen heulen. Problematischer ist das Gefühlsleben der Falschdeutschen oder Fastdeutschen. Sie wollen dazugehören. Sie kaufen Dirndl und Lederhosen, wollen Bayern sein.

Letzten Sommer saß ich im Ponte, einem kleinen Restaurant in Frankfurt mit einem Freund, der langjähriger Korrespondenten des portugiesischen Staatsfernsehens in Paris war. „Weißt du, wer in Frankreich die fanatischsten Wähler von Le Pen sind? Die Portugiesen zweiter Generation“, sagte er. Inzwischen kann ich dieses Phänomen auch hier bestätigen. Wer Fremdkörper am Stecken hat, will deutscher sein als ein Deutscher.

Die unangenehmsten Kommentare auf meine natürlich völlig gerechtfertigte, weil so empfundene Deutschlandkritik höre ich fast ausschließlich von „Deutschen“, die noch dabei sind, ihren Migrationshintergrund oder ihre Fremdartigkeit zu unterdrücken. Aus der Vorfahrenbewältigung wird schnell eine kulturelle Übertreibung. Familienangehörige, Freunde und Fremde, die auf Deutschlandkritik überreagieren, haben fast immer eins gemeinsam. Oft ist es ein dunklerer Melaninhintergrund. „Ich sehe es nicht gerne, dass du Deutsche als langweilig und humorlos bezeichnest. Ich finde, ich bin ein unterhaltsamer Mensch“, sagt mir ein langjähriger Freund. „Das bist du auch“, bestätige ich ihm. „Aber ich schrieb über Deutsche und du bist Halbzypriot.“

Vor zwei Monaten war ich wieder im Ponte mit meiner Frau und einem befreundeten Ehepaar. Das Abendessen verlief suboptimal. Die beiden hatten uns in der fremden Stadt adoptiert und in ihren Freundeskreis integrieren wollen. „Das, was heute passiert, hat doch nichts mehr mit Nazis zu tun“, exaltierte sich unser Freund, ein Jude mit ausländischen Wurzeln, als ich Unternehmen kritisierte, die Zwangsarbeiter beschäftigt hatten. Und überhaupt sei ich meinem „Gastland“ gegenüber viel zu kritisch. Nach einer halben Stunde am Tisch hauten wir verbal so aufeinander ein, dass es fast germanisch war. Beide Frauen schwiegen betroffen.

Nahe Familienangehörige mit Migrationshintergrund, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben, schreiben mir: „Wie kannst du Herrn Schäuble, der seine schützende Hand über deine Familie hält, so kritisieren? Genießt du nicht das hervorragende deutsche Gesundheitssystem?“

Von Fremden bekomme ich Hasspost, in der zwischen den Zeilen zu lesen ist, dass auch sie so urdeutsch sind wie eine Tapas-Bar. Letzte Woche nach einer Lesung bohrte eine Frau ihren Zeigefinger in mein Brust: „Das, was du schreiben, ist gar nicht. Ich hier immer behandelt wie eine Deutsche.“

Finden Sie nicht auch, dass Sie heute hier gut wegkommen? Ich habe da noch eine Erklärung parat. Viele echte Einheimische reagieren nicht auf Kritik, weil Überheblichkeit dickhäutig macht, aber sich mit dem Verstehen schwertut. Falsche Einheimische sind meist zu menschlich, ihre Emotionen effektiv zu verbergen.