Ein politischer Schock für das Establishment

SPANIEN Bei den Regionalwahlen erleiden Konservative und Sozialisten eine herbe Niederlage. Gewinner sind die Bürgerlisten

Für Podemos hängt jetzt vieles von einer geschickten Taktik gegenüber der PSOE ab

AUS MADRID REINER WANDLER

„Sí se puede!“ – „Ja, man kann!“ – hallte es durch die Innenstädte von Madrid und Barcelona. Tausende feierten den Wahlsieg der Bürgerlisten Ahora Madrid (Jetzt Madrid) und Barcelona en Común (Barcelona gemeinsam). In Spaniens Hauptstadt wird künftig die 71-jährige pensionierte Richterin Manuela Carmena im Bürgermeisteramt Platz nehmen und die Volkspartei (PP) im Bündnis mit den Sozialisten nach mehr als 20 Jahren ablösen. In Barcelona siegt die Aktivistin gegen Zwangsräumungen von säumigen Wohnungseignern, die 41-jährige Ada Colau, über die konservativen Nationalisten von CiU. Die beiden größten Städte Spaniens sind seit Sonntag das Symbol eines tiefgreifenden, politischen Wandels, der vor vier Jahren begann, als die „Empörten“ überall im Lande Plätze besetzten, mehr Demokratie und ein Ende von Sparpolitik und Korruption forderten.

Die regierende Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy verlor gegenüber 2011, als sie flächendeckend gewann, knapp 2,5 Millionen Stimmen. Sie wurde für ihre unsoziale Politik und für Hunderte von Korruptionsfällen bis hinauf in den Parteivorstand abgestraft. Neben Barcelona und Madrid werden mindestens fünf weitere Großstädte von Bürgerbündnissen rund um die Antiausteritätspartei Podemos regiert werden. Die PP verliert neben diesen Städten auch so emblematische Regionen wie Valencia, Estremadura oder Kastilien-La Mancha.

Auch die sozialistische PSOE verlor 700.000 Stimmen und fuhr damit ihr schlechtestes Ergebnis ein. Die beiden großen Parteien, die noch vor vier Jahren zusammen 65 Prozent erzielten, liegen dieses Mal nur knapp über 50 Prozent. Auch die postkommunistische Vereinigte Linke (IU) gehört zu den Verlieren. Wo sie sich nicht den Bürgerlisten anschloss, verlor sie ihre Abgeordneten und Stadträte.

„David hat über Goliath gesiegt“, erklärte Ada Colau in der Wahlnacht und war dabei den Tränen nahe. „Der Wandel beginnt in den Städten“, erklärte auch Podemos-Chef Pablo Iglesias vor Tausenden von Anhängern auf dem Platz, auf dem die junge Partei bereits vor einem Jahr ihren überraschenden Einzug ins Europaparlament gefeiert hatte.

Podemos unterstützte auf Gemeindeebene Bürgerlisten und trat in den 13 Regionen, in denen das regionale Parlament und die Autonomieregierung gewählt wurde, unter eigenem Namen an. Podemos zieht überall in die Volksvertretungen ein. Und fast überall kann ein Bündnis links von der Mitte – falls es zustande kommt – die Konservativen auf die Oppositionsbank schicken.

In einigen Regionen hofft die PP auf die Partei Ciudadanos (Bürger). Mit deren Stimmen würde es für eine hauchdünne Mehrheit reichen. Die vor neun Jahren in Katalonien als antinationalistische Kraft entstandene Partei rund um den jungen Anwalt Albert Rivera trat erstmals spanienweit an. Dank einer breiten Pressekampagne, die sie als gemäßigte Alternative zu Podemos aufbaute, erzielte sie 6,6 Prozent der Stimmen bei den Kommunalwahlen, weit weniger als die Umfragen vorhersagten. Seit Monaten wurde Ciudadanos um die 20 Prozent gehandelt.

Doch auch Podemos hat nicht nur Grund zu feiern. So gelang es der Partei in keiner der Regionen, stärkste Kraft oder zumindest meist gewählte Partei links der Mitte zu werden. Damit wird Podemos zwar entscheidend für künftige Bündnisse sein, um die PP aus der Regierung zu verbannen, doch einen regionalen Regierungschef kann die Partei nicht aufbieten. Diese Posten werden im Falle von Bündnissen die Sozialisten besetzen.

Der Druck für Podemos und Ciudadanos ist mit Blick auf die im Herbst anstehenden spanischen Parlamentswahlen erheblich. Ciudadanos steht vor dem Dilemma, ob sie zusammen mit der PP regiert, wo es rechnerisch möglich ist. Damit würde sie den Ruf als Kraft der Mitte einbüßen. Mit der politischen Mitte haben Rajoys Konservative seit Sonntag nur noch wenig zu tun.

Und Podemos muss aufpassen, sich nicht allzu bereitwillig den Sozialisten als Mehrheitsbeschaffer anzudienen. Iglesias kritisierte die PSOE im Wahlkampf hart für die Unterstützung des Sparkurses und die Verwicklung in Korruptionsaffären. „Echte Sozialisten wählen violett“, erklärte er in Bezug auf die Parteifarbe von Podemos. Für Iglesias hängt jetzt vieles von einer geschickten Taktik im Umgang mit der angeschlagenen PSOE ab.

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