VON KLEBRIG BIS TROTZIG
: Schlaflieder für den HSV

Nils Schuhmacher

Ende der 60er kursierte das Bonmot: „Willst du gute HSVer sehen, dann musst du schon zu Sperber gehen“. Diese Zeiten sind nun vorbei. Der traditionsreiche SC Sperber taucht mit Saisonende aus der ohnehin nicht sehr hochklassigen Landesliga ab, um in der Bezirksliga seine kleinen Brötchen zu backen. Und der HSV? Er ließ verlauten, dass seine berühmte Bundesliga-Lebensuhr in keinem Fall am heutigen Samstag gegen 17.15 abgestellt wird. Sie wird stattdessen um etwa 23 Uhr wie nach jedem Spieltag in den Schlafmodus gleiten und – wenn nicht noch etwas komplett Verrücktes passiert – auf unbestimmte Zeit dort verharren.

In den Schlaf begleiten sie die schönen und weniger schönen musikalischen Beiboote, von denen dieser Verein eine erstaunliche Menge besitzt. Man denke hier nicht nur an Lotto King Karl („Hamburg meine Perle“), von dem man gerne mal sagen würde: lange nichts mehr von ihm gehört. Oder an Slime, die 1982 mit „Block E“ eher das Soziogramm einer berüchtigten Fanszene vorlegten, als dem Verein ein Denkmal zu stiften. Daneben hat sich über die Jahre eine wunderbare Mischung aus klebrigen, seltsamen und trotzigen Songs angesammelt, die mal als authentische Standortbestimmungen durchgehen, mal nur Auftragsarbeiten waren. Wobei die Differenz nicht unbedingt Rückschlüsse auf die Qualität zulässt.

Eher durchschnittliche Vertreter auf der Originalitätsskala sind das zu Recht in Vergessenheit geratene „HSV – bist unser Leben“ von Daniel Nitt und auch die diversen vereinsbezogenen Beiträge des Rappers Elvis. Das Prädikat „musikalisch und auch sonst wenig ansprechend“ verdienen ebenfalls „Halé HSV“ von Andreas Cramer und die Westkurvenfans aus den 1980ern (komponiert von Dieter Bohlen) sowie „Hurra der HSV ist wieder da!“ von Ronny und seinen Twins. Beide Songs bewegen sich zwischen Karnevalsfeier und Medley und können auch durch stupiden Disco-Rhythmus nicht gerettet werden.

Auf ihre jeweils spezielle Art etwas überzeugender sind andere Titel. Ganz im Stile eines stimmungsvollen Wanderliedes halten Pete McGrory & Moni James ihr nicht ganz unschmissiges „Heya, Heya, Heyo HSV“. David Hanselmanns „HSV forever“ von 1994 kann demgegenüber als Versuch gewertet werden, die besonders fiesen Momente von Europes „Final Countdown“ für Fußballanliegen dienstbar zu machen. Scooters Techno-Hymne „Always Hamburg“ mag peinlich sein, ist dabei aber tanzbar. Space Kellys „Der HSV ist wieder da“ würde als domestizierte Version von Superpunk und Aeronauten mit anderem Text auch ohne Weiteres auf dem Label Tapete unterkommen.

Und dann kommen die musikalischen Felsen in schwerer See. Stefan Hallbergs „Wer wird deutscher Meister“, komponiert vom deutschen Jonny Cash Gunter Gabriel, und das auf die Melodie von „My oh My“ gesungene „Wir sind die Fans vom HSV“ von Michael Petersen und den Kuddls von der Elbe, das Lied mit der genial beknackten Zeile: „Wir sind schlau, wir sind Fans vom HSV“. Als die Zeiten der sportlichen Regression sich verstetigten, steuerten Norbert und die Feiglinge 1996 noch ihr vor Beharrungsvermögen und Frustrationstoleranz berstendes „Trotzdem HSV“ bei. Und das letzte Wort zur Misere hat Buddy Ogün als Mozart in „HSV du bist meine Frau“: „Wenn du mal schwächelst, dann muss ich stark sein“. Sehr, tja, schlau.