Die Beobachterin

FILM Eine Zuneigung für Orte und die Menschen – das Arsenal zeigt die Arbeit der Berliner Filmemacherin Renate Sami zu ihrem Achtzigsten

Die Berliner Filmemacherin Renate Sami wurde in diesem Jahr achtzig Jahre alt. Ihr zu Ehren richtet das Kino Arsenal nun eine kleine Schau aus. An zwei Abenden, dem 25. und 26. Mai, werden insgesamt neun Filme Samis präsentiert.

Der früheste in dem Programm stammt aus dem Jahr 1985 – „Cesare Pavese. Turin – Santo Stefano Belbo“, den sie zusammen mit Petra Seeger realisiert hat. Ihr Erstling hingegen, „Es stirbt allerdings ein jeder, Frage ist nur wie und wie du gelebt hast“ (1975) über Holger Meins, ist nicht Teil der Zusammenstellung. Vielleicht, weil sich ihr Schaffen nach dieser Annäherung an den an den Folgen eines Hungerstreiks gestorbenen Meins etwas vom Politischen fortbewegt hat, Ästhetik und Poesie mehr in den Vordergrund gerückt sind, die Beschäftigung mit Literatur und Malerei. Oder Reisen, auch das.

Erst mit vierzig hat Renate Sami begonnen, Filme zu machen. Ein vergleichsweise später Einstieg und auch ohne eine filmische Ausbildung. Hilfe kam aus den Reihen befreundeter Studenten der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, das Filmmaterial für ihren ersten Film von einem Freund, der ein eigenes Projekt beerdigt hatte.

Feine Handschrift

„Cesare Pavese. Turin – Santo Stefano Belbo“ zeugt von feinen Handschrift Samis, die sich seit diesen Anfängen herausgebildet hat. Der Film beginnt mit einem Satz aus Paveses vorletztem Roman „Die einsamen Frauen“ (1949): „Ich kam wie die Seiltänzer und Nougatverkäufer beim letzten Januarschnee in Turin an. Als ich unter den Bogengängen die weißglühenden Karbidbrenner sah, erinnerte ich mich, dass Karneval war.“ Worte, die Sami nicht losgelassen haben. „Cesare Pavese“ ist ein Künstlerporträt und Samis persönliche Spurensuche nach einem Autor, der sich nur 42-jährig das Leben nahm.

Sami reist nach Turin, wo Pavese lebte und arbeitete, filmt Kaffeebars und leuchtende Cinzano-Schilder. Sie trifft Massimo Mila, einen Turiner Freund Paveses, und führt ein langes Interview mit ihm. Dieser weiß nichts von Pinolo Scaglione, Paveses Kinderfreund vom Land, der in seinen Romanen unter dem Namen „Nuto“ auftritt. Auch hier wieder: eine lange Gesprächssequenz. Zwei Enden, zwei Welten markiert Sami auf diese Weise, die sich in der Person Cesare Pavese begegnen. Jener bleibt ein Geheimnis, auch wenn ihn die Filmemacherin durch das Vortragen einzelner Textpassagen zum Sprechen bringt.

Wunderbar ist das Italienisch, das Sami mit den beiden Signori spricht. Hier kommt etwas zum Vorschein, das ihr Leben vor dem Filmemachen betrifft, denn studiert hat Renate Sami Sprachen, Englisch, Deutsch und Französisch hat sie unterrichtet. Und außerdem an Übersetzungen gearbeitet, etwa – zusammen mit Horst Tomayer – bei dem 1968 erschienenen Band „Wo ist Vietnam?“ mit 89 amerikanischen Dichtern gegen den Krieg in Vietnam oder oder bei Jean Meynauds „Bericht über die Abschaffung der Demokratie in Griechenland“ (1969).

In ihren Filmen verfolgt Sami einen anderen Ansatz. „Ihr „Filmtagebuch 1975–85“ (2005) setzt sich vor allem aus Aufnahmen West-Berlins mitsamt Freundinnen und Freunden zusammen, die sie als scheinbar lose Abfolge von Bildnotizen vereint. Einmal sieht man eine Gruppe von Leuten im Tiergarten picknicken, und es erinnert ein wenig an Manets Gemälde „Frühstück im Grünen“. Oder man ist wieder in Turin, wo in einem Säulengang eine junge Frau Kaffee trinkt und Zigaretten raucht oder an einer Kreuzung dem Autoverkehr zusieht.

Renate Sami filmt Frauen und wie diese mit ihren Augen die Umgebung abfilmen – in erster Linie aber ist sie selbst es, die eine Beobachterin ist. Für „Sarah Schumann malt ein Bild“ (2000/2015) hat sie einen Monat im Atelier der Künstlerin verbracht und den Entstehungsprozess einer großflächigen Malerei begleitet. Ihr Film „Am Lietzensee“ (2013) hat fast voyeuristische Züge: die Art, in der sie den See über die Jahreszeiten hindurch beobachtet und dabei an vereinzelte Menschen heranzoomt, ihnen für ein paar Meter folgt, um letztlich wieder von ihnen abzulassen. Es ist eine wahrhafte Zuneigung für den Ort und seine Menschen. Diese Zuneigung zieht sich schon durch ihre Arbeit – was nun in den beiden schönen Arsenal-Programmen überprüft werden kann. CAROLIN WEIDNER

■ Filme von Renate Sami im Arsenal, Potsdamer Str. 2, Pfingstmontag, Dienstag, 19 Uhr, mit der Filmemacherin zu Gast