Singen ist keine Sünde, Kunst ist keine Sünde

NAHOST Die Revolution der Frauen: Ein Label aus Oslo präsentiert selbstbewusste Stimmen aus Kairo, Beirut und Teheran. Sie spiegeln die Stimmung ihrer Länder

VON STEFAN FRANZEN

Die Umwälzungen im Nahen Osten beherrschen seit Jahren die Schlagzeilen. Doch ein grundlegender Wandel der Gesellschaften dort wird nicht ohne die Emanzipation der Frauen möglich sein. Der Libanesin Tania Saleh, der Ägypterin Dina El Wedidi und der Iranerin Mahsa Vahdat kommt in dieser Hinsicht eine Vorbildfunktion zu.

Als Jugendliche überquerte die heute 45-jährige Tania Saleh während des Bürgerkriegs in Beirut die feindlichen Linien auf den Flügeln von Rockmusik. „Die traditionelle arabische Musik interessierte mich damals nicht“, erzählt sie. „Ich begeisterte mich für Stevie Nicks, Grace Slick, Joni Mitchell und fing auch an, Jazz zu hören. Musik war ein Mittel, vor dem schrecklichen Alltag des Kriegs zu fliehen“.

Heute arbeitet Tania Saleh in einer Werbefirma und erstellt zu ihren Songs gewagte Videocollagen. Zu ihrer Rockhymne „Ya Wled“ hat sie etwa die Gesichter bekannter Politiker durcheinandergewürfelt, als Zeichen ihrer Austauschbarkeit. „Der Libanon wird regiert von einem Haufen korrupter Typen, die den Hass der religiösen Gruppierungen gegeneinander schüren. Du kannst niemandem von ihnen trauen, ganz gleich aus welcher Partei. Da nützt es uns auch wenig, dass wir der einzige Staat der arabischen Welt mit freier Rede sind“, zürnt sie.

In ihrem Song „Reda“ hat sie dem libanesischen Chauvi ein zynisches Denkmal gesetzt. „Frauen dürfen im Libanon im Badeanzug zum Strand gehen und werden auf der Straße nicht belästigt. Aber wenn es ums Heiraten und Erben geht, wird das Gesetz immer zum Vorteil des Mannes ausgelegt. Und eine Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird, hat keine Instanz, vor der sie klagen kann“, kritisiert sie das Geschlechterverhältnis im vergleichbar liberalen Libanon. Den schmachtenden Liedern der arabischen Klassik, die oft von unerfüllter Liebe handeln, setzt sie mit Bossa-Rhythmen eine selbstbestimmte Weiblichkeit entgegen.

„Erst wenn wir wirkliche Gleichberechtigung haben, wird auch die Musik blühen“, ist Tania Saleh überzeugt. Der aus den Golfstaaten finanzierte Pop-Mainstream dagegen zerstöre die einstige Vielfalt des libanesischen Liedes. Wer abseits agiert, muss Mittel im Ausland rekrutieren – so wie sie, deren Album beim norwegischen Label Kirkelig Kulturverksted erscheint, dass sich seit jeher in der Friedensarbeit und im Kulturaustausch engagiert. Zum 25-jährigen Verlagsjubiläum will man sich in Oslo nun verstärkt dem Nahen Osten widmen.

Darum erscheint dort auch das Album der Ägypterin Dina El Wedidi. Auf dem Tahrirplatz in Kairo sang die heute 27-Jährige den Demonstranten den Hit „Lasst uns träumen“. Auf ihrem ersten Soloalbum spiegelt sich nun die Gemütslage einer Gesellschaft im Schwebezustand. Elegisch, poetisch und somnambul ist die Stimmung auf „Turning Back“, Trauer über die Restauration der alten Verhältnisse scheint allenfalls zwischen den Zeilen hervor („Ya belad“). Explizit dagegen ist ihre Kritik an religiöser Bevormundung: „Singen ist keine Sünde, Liebe ist keine Sünde“, heißt es im Song „El Haram“.

Die Zukunft ihres Landes sieht Dina El Wedidi nach der gewaltsamen Entmachtung der Muslimbrüder ungewiss. „Was kommt, ist völlig offen, und das macht mir Angst. Deshalb heißt mein Album auch ‚Turning Back‘: Wir, die Kinder der Revolution, müssen nun wieder genau dort anfangen, wo wir schon vor drei Jahren waren“, sagt sie.

Die Musik der Undergroundszene explodiert zwar, nicht nur in Kairo und Alexandria, dank Soundcloud und YouTube. Aber die Machthaber stehen immer noch im Weg, wenn es darum geht, Auftrittsmöglichkeiten zu organisieren. Und von Meinungsfreiheit, das weiß El Wedidi aus eigener täglicher Anschauung, ist das postrevolutionäre Ägypten weit entfernt: Die Texte und die Versammlungsorte kritischer Künstler stehen unter ständiger Beobachtung der Regimes.

Dina El Wedidi zieht sich darum in die Tradition zurück. Auf ihrem Album verwebt sie die trancehaften Rhythmen der rituellen, von Frauen gepflegten Zar-Musik mit modernen Songwriting. Dazu hat sie die Frauen der Gruppe Mazaher eingeladen, die auf diese archaische Heilungszeremonie spezialisiert sind. Auch in ihrer Band spielt eine Frau die erste Geige, im wahrsten Sinne des Wortes: die Violinistin und Arrangeurin Nancy Mounir.

„Meine Eingangstür zur Musik war die Theatergruppe El Warsha – bei denen habe ich den ganzen Schatz der traditionellen Stile Ägyptens kennengelernt“, sagt El Wedidi. „Aber als es dann an mein eigenes Album ging, wollte ich eine neue Folkmusik, eine Fusion machen.“ Dabei orientiert Dina El Wedidi sich nicht nur am arabischen Erbe. „Wir müssen uns auch als Teil Afrikas begreifen“, sagt sie über ihr Land. Derzeit arbeitet sie deshalb im „Nile Project“ mit gleichaltrigen Musikerinnen aus Äthiopien, Ruanda, Burundi, Uganda und Kenia zusammen. „Wir müssen dem Afrikabild, das durch US-Medien verbreitet wird, etwas entgegen setzen“, findet sie. Da trifft es sich auch gut, dass sie den brasilianischen Popstar Gilberto Gil als Mentor gewinnen konnte. „Die Nacht“, ihr arabisch-portugiesisches Duett mit ihm, ist von eleganter Melancholie.

In das Kirkelig-Konzept passt auch Mahsa Vahdat aus Teheran. Auf „Traces Of An Old Vineyard“ bringt die Iranerin Sufilieder in einen neuen Kontext. Die Arrangements kombinieren traditionelle persische Streichlaute und Perkussion mit ruhiger, nordischer Jazz-Improvisation am Klavier. Die glühenden Verse von Hafis und Rumi werden so in ihrer zeitlos-spirituellen Bedeutung bestätigt.

■ Tania Saleh: „A Few Images“; Dina El Wedidi: „Turning Back“; Mahsa Vahdat: „Traces Of An Old Vineyard“ (alle: Kirkelig/Indigo)