Kretschmann im Wunderland

WELTREISE Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident reist eine Woche durch Kalifornien. Er sucht im Silicon Valley mit seiner Delegation die Zukunft. Da treffen dann schwäbische Mittelständler auf krawattenlose Start-up-Jungs. Geht das zusammen?

AUS SAN FRANCISCO PETER UNFRIED
(TEXT) UND REINER PFISTERER (FOTOS)

Am Ende sitzt der Ministerpräsident von Baden-Württemberg in der Lobby des Hyatt Regency von San Francisco und wirkt ein wenig erschlagen von seiner Reise ins kalifornische Silicon Valley. Er geht heute noch gebeugter als sonst.

Wie das jetzt auf den Punkt bringen, was er in einer Woche hier erlebt hat?

„Cupidus rerum novarum“, sagt Winfried Kretschmann irgendwann.

Begierig nach neuen Dingen.

*

Politiker drängen ins Silicon Valley wie sonst nur zu WM-Endspielen mit deutscher Beteiligung. „Jeden Morgen, wenn man den Computer anmacht, meldet sich eine neue Delegation an“, sagt Stefan Schlüter, deutscher Generalkonsul in San Francisco. Schnurrbart, volles Haar, hanseatischer Sound. Er ist seit einem Jahr da und hatte seither etwa 30 Bundestagsabgeordnete zu Besuch. Die Bundesminister Dobrindt und de Maizière rücken demnächst auch an. Alle wollen wissen, wie das Silicon Valley tickt, der wichtigste Stand- und Entwicklungsort der globalen IT- und Hightech-Industrie.

Was immer dabei Inszenierungsinteresse ist: Es ist ein umfassender Paradigmenwechsel im Gang. Stanford und nicht mehr Harvard ist die beliebteste Uni bei amerikanischen Studierenden, der superlibertäre Wagniskapitalgeber Peter Thiel gilt als ein führender Intellektueller der USA. Die entscheidenden Menschheitsfragen – Freiheit, Arbeit, Klimawandel – sind mit der fortschreitenden Verwandlung der materiellen und geistigen Welt in Daten verknüpft. Gesellschaft und Politik, Wirtschaft und Wissenschaft haben jetzt echt was zu leisten.

Und so steht Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Tag nach seinem 67. Geburtstag zum ersten Mal in seinem Leben vor der Golden Gate Bridge von San Francisco und grinst in die Kamera. Er hat eine große Delegation mitgebracht, zuvorderst seine Kabinettstars – manche knurren: persönlichen Lieblinge – Umweltminister Franz Untersteller und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer. Es soll nicht nach Urlaubsreise aussehen. Andererseits erreicht man mit schönen Bildern mehr Leute als mit langen Reportagen.

Die Gefahren dürfen neben den Chancen auch nicht zu kurz kommen. Deshalb sitzt am Abend ein Mann mit zotteligen Haaren, riesiger Wampenausbeulung im schwarzem T-Shirt und Schlappen am Tisch des Ministerpräsidenten. Das ist Jaron Lanier, Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels und von Beruf Internetkritiker. Während sich hinter ihm der Westküsten-Himmel verdunkelt, erklärt er seine zwei Kernbotschaften: Fast alles nette Leute da im Silicon Valley, auch nette Chefs, etwa bei Facebook, aber es gebe eben ein Machtproblem. Kurz gesagt: „Information ist Macht, und einige Konzerne konzentrieren diese Macht zu sehr.“ Und es gebe großartige Sachen, aber man tue immer so, als seien die Inhalte vom Himmel gefallen. Die Leute, die Inhalte oder Daten geben, müssten dafür bezahlt werden.

Kretschmann hört die Rede mit Übersetzungskopfhörern. Sein Englisch ist nicht so gut wie das seines Vorvorgängers Günther Oettinger. Es ist seine erste Amerikareise. Das liegt weniger an dem Antiamerikanismus des Milieus, aus dem er stammt, sondern daran, dass er kein großer Reiser ist. Nie war. „Ich bin in die weite Welt nur durch Dienstreisen gekommen“, sagt er.

Was soll das bringen, wenn Baden-Württembergs Wirtschaft und Wissenschaft auf Kalifornien trifft? Die Sprachregelung ist: Unsere Wirtschaft ist toll, aber das sagen wir nicht nur so wie die Vorgängerregierung. Wir haben auch eine digitale Agenda. Dadurch wird sie noch erfolgreicher. Es gehe erst mal darum, den „Spirit mitzukriegen“, sagt der Ministerpräsident. Etwas zu sehen und zu spüren, was man sich nicht anlesen kann.

So findet sich die baden-württembergische Wirtschaftsdelegation im Twitter-Building in San Franciscos Market Street ein, dem Hauptsitz der Kommunikationsplattform für 140-Zeichen-Inhalte, eines der erfolgreichsten Unternehmen der Digitalwirtschaft. Die unteren Etagen sind an Start-ups vermietet, junge Firmen, die glauben, eine Geschäftsidee zu haben, mit der sie zügig wachsen können. Im vierten Stock sitzen neben vielen anderen die Jungs von „German Accelerator“, einem Ausbildungscamp für deutsche Start-ups, die es im Silicon Valley schaffen wollen. Es gibt viel offenen Raum, ein Iglu für Meetings und Ruhesäcke, auf denen Leute liegen und auf Smartgeräte starren. Wie man sich das so vorstellt.

„Wir helfen den Start-ups, Access zu gewinnen“, sagt Christian Claus, Ende zwanzig, ursprünglich aus Heidelberg, big Californian smile. Eingewöhnen, adäpten, anwenden. In der Lage sein, seine Story in zwanzig Sekunden zu pitchen. „Was ist pitschen?“, fragt ein schwäbischer Besucher.

Man fährt 20 Sekunden Aufzug mit jemandem und muss ihm dabei sagen können, was man Tolles macht. Darauf sagt der andere: Super. Du kriegst eine Million von mir. Dann hält der Aufzug, und alles wird gut. So läuft das hier. Eventuell.

„Das Mindset ist hier offener“, sagt Claus. Es geht um die Story, aber auch um den Spirit. Es gibt Probleme. Gott sei dank. Denn man ist hier, um sie zu lösen.

Ein Start-up präsentiert ein Joggingshirt mit einer Software, die beim Laufen ein EKG erstellt und so den Fitnesszustand eines Sportlers misst und einen Manager vor nahendem Burnout warnt. Oder dessen Arbeitgeber.

„Generell wollen wir alle die Welt verändern“, sagt Claus. Er bleibt auch auf Nachfrage dabei.

Was denkt der schwäbische Unternehmer über den allgegenwärtigen Weltverbesserungsanspruch? Er sagt: „Ha, des isch schwierig. Des geht uns nicht so leicht über die Lippen.“

Claus ist casual angezogen. Aber gut. Die baden-württembergische Wirtschafts- und Verbandsvertreter, fast nur Männer, tragen Anzuguniform, Krawatte, dazu in mehreren Fällen Oberlippenschnurre. Einer der Start-up-Gründer sagt, das Motto für erfolgreiche Geschäftsanbahnung in Kalifornien laute: „Krawatte runter, locker machen.“ Die Krawatten bleiben um.

Dreißig Meilen die Interstate 280 runter liegen Palo Alto und die Universität Stanford, wo das Silicon Valley gezeugt wurde und aus der heraus Google und viele andere große IT-Unternehmen entstanden sind. Ein, zwei Meilen entfernt haben auch baden-württembergische Weltunternehmen ihre Dependancen. Bosch. Der Softwarehersteller SAP. In dessen Aula erklärt der Internetunternehmer und Risikokapitalgeber Andreas von Bechtolsheim den Besuchern ein paar Stunden später den Unterschied zwischen Deutschland und Kalifornien, ihnen und ihm.

Bechtolsheim, 59, trägt Jeans und ein Lächeln als Grundgesichtsprogrammierung. Er ist so schnell, dass er Fragen schon beantwortet hat, ehe sie zu Ende gestellt sind. Der Kern der geschäftskulturellen Differenz ist für ihn ein entgegengesetztes Verständnis von Risiko. 23 Milliarden Dollar Wagniskapital werden allein im Silicon Valley riskiert, in Deutschland insgesamt nur 8 Milliarden. In Deutschland regiere der Gedanke: Bloß kein Risiko. Ihn als Exilkalifornier plagt die Sorge, ein großes Risikogeschäft zu verpassen, das am Ende auch das große Geld bringt. Weshalb er möglichst viele Risiken eingeht. Der Gedanke ist: Es muss viel nicht klappen, damit es richtig klappen kann. Seine Glaubwürdigkeit wird durch sein geschätztes Vermögen gestützt: knapp 4 Milliarden Dollar.

Bechtolsheim hat das libertäre Denken eines IT-Unternehmers, er liebt Uber-Taxis und findet es verrückt, Leuten verbieten zu wollen, ihre Zimmer bei Airbnb zu vermieten, damit Hotels nicht unglücklich werden. „Dafür werden die Wohnungsvermieter glücklich“, sagt er.

Er hat die schönsten Silicon-Valley-Sinnsprüche drauf. Etwa: Die Zukunft kommt auf jeden Fall. Aber sie gehört denen, die sie gestalten. Es gebe keine „Ideenwirtschaft“ in Deutschland, sagt er. Keine Ideenkultur. Keine Ideeninfrastruktur. Zu wenig Risikokapitalfinanzierung. Keine Kultur des Scheiterns. „Wenn hier die Idee nichts wird, hat man immer eine andere Idee.“ Er hat zwei Botschaften: Alles unter 1 Milliarde Dollar Jahresumsatz ist Pipifax. Also kommt nach Kalifornien und werdet groß. Aber das ist vom Mittelständler aus dem Schwarzwald oder dem Remstal vielleicht etwas viel verlangt, neben den Global Playern die zweite Grundlage baden-württembergischen Wohlstands.

In zehn Monaten ist die Landtagswahl 2016. Da entscheidet sich, ob die Grünen als führende Regierungspartei einer grün-roten Koalition Episode bleiben und wieder business as usual einzieht, wie die CDU hofft. Oder ob sie sich festsetzen und die 58 Jahre regierende „Baden-Württemberg-Partei“ zu einem Reset gezwungen wird. Seit Herbst letzten Jahres besetzt Kretschmann und in der Folge auch der Tuttlinger CDU-Ministerpräsidentenkandidat Guido Wolf das Thema.

Der eine hat eine Stabstelle eingerichtet, eine Regierungserklärung vorgelegt und ist nun im Silicon Valley. Der andere hat einen Begriff namens „Smart Valley“ gefunden, was bedeutet, dass das Land zum Silicon Valley Europas werden soll. Danach ist er von Tuttlingen nach Walldorf zu SAP gereist, um sich digital weiterzubilden. Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) mischt auch mit, hat aber nach Kalifornien seinen Staatssekretär geschickt. Die Reise ist zu sehr auf den Regierungschef zugeschnitten, als dass der Vize hätte punkten können.

Jedenfalls konkurrieren bei der Landtagswahl nun gleich vier Parteien um den Status als führende Wirtschaftspartei. CDU, FDP, SPD – und zum ersten Mal auch die Grünen.

Die Universität von Berkeley ist der Wallfahrtsort der politischen Protest- und Emanzipationskultur von 1968. Antivietnamkrieg. Antiestablishment. Wir gegen die. Aber unterm Strich zähl ich. Classic Grün. Ausgerechnet hier hält Kretschmann eine Rede, in der er die moderne Wirtschaft ausruft, die Wachstum und Wohlstand mit radikaler Effizienzsteigerung und radikal sinkenden CO2-Emissionen verbinden soll, um die Erderwärmung doch noch auf 2 Grad zu begrenzen.

Die Frage, ob es Wachstum geben solle oder nicht, stelle sich nicht, sagt Kretschmann in der Moses Hall. Es werde Wachstum geben. Die Frage sei, welches: „Intelligentes Wachstum scheint mir die entscheidende Überschrift dieses Jahrhunderts zu sein.“ Danach erzählt er seine Lieblingsgeschichte: Wie er den Dienstwagen seines CDU-Vorgängers Mappus von 340 Gramm CO2 auf jetzt 65 Gramm gesenkt habe. Mithilfe von Daimler-Benz-Technologie.

Das ist die Geschichte, die er durchsetzen will: Politische Effizienzvorschriften helfen der baden-württembergischen Wirtschaft, weil sie das Tüftel-Know-how haben, entsprechende Produkte herzustellen. Sensorik, Motorik, Old Economy, alles top. Jetzt muss nur noch der Mittelstand die digitalisierte Produktion – das „Internet 4.0“ – hinkriegen, um sie mit der ökologischen Modernisierung verknüpfen zu können. Alles wird effizienter. Aber Arbeitsplätze bleiben erhalten.

Es kostet nichts, die grüne Revolution auszurufen. Ob und in welchem Ausmaß das tatsächlich möglich ist, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Das Problem ist nur: Wenn das nicht geht, was geht dann noch? Es ist rhetorisch keine große Rede, das sagt Kretschmann hinterher selbst. Es ist aber eine starke Botschaft, vor allem an die eigene Bundespartei: „Den Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie gibt es im 21. Jahrhundert nicht mehr“, ruft er.

Auch in der Bundespartei wird gern verbreitet, der erste grüne Ministerpräsident sei eine Art historischer Zufall. Dagegen setzt er nun die Erzählung, es handele sich um historische Präzision, weil Grün die Verbindung in die Zukunft herstelle, die in diesem Moment gebraucht werde – die Verknüpfung von Ökonomie und ökologischer Modernisierung. Die Logik: Die Grünen sind eine Wirtschaftspartei, weil sie eine Wirtschaftspartei sein müssen, wenn sie eine grüne Partei sein wollen. Und wenn sie vorn und wichtig sein wollen.

In Kretschmanns Wirtschaftsdelegation steht keiner unter dem Verdacht, grün zu wählen. Was sagen die zur ökologischen Produktionsmoderne? „Dieses Lied singe ich jetzt seit vier Jahren vor der Wirtschaft“, sagt Kretschmann. „Das ist bei denen echt angekommen.“ Er höre auch über den Flurfunk nicht, dass er gefälligst was anderes erzählen solle. Speziell die Daimler-Geschichte komme immer gut an.

Gegen das Auto geht gar nichts in seinem Bundesland, das hat Kretschmann längst verinnerlicht. Die ökonomischen, emotionalen und kulturellen Bande sind fest verknüpft. Als sie das selbstfahrende Auto besichtigen, rast die halbe Delegation los, um sich damit fotografieren zu lassen. Im Übrigen: Kaum einer in Kalifornien kennt Baden-Württemberg. Aber jeder kennt Mercedes und Porsche.

In der Delegation ist auch eine CDU-Politikerin und der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke. Beide halten sich eher im Hintergrund. „Bevor man große Reden schwingt, soll man erst mal flächendeckend für schnelles Internet sorgen“, sagt Rilke auf dem Campus von Berkeley. 70 Prozent der Haushalte sind angeschlossen, aber auf dem Land gibt es große Lücken. Das werde er zum Wahlkampfthema machen. Es ist der politische Evergreen, bei dem die Opposition Grün-Rot als Schuldigen ausmacht und die Grünen sagen, sie arbeiteten Versäumnisse von Schwarz-Gelb auf.

Rilke, 53, ist Dr. phil. Er denkt, dass der Wahlkampf nicht vom Thema Wirtschaft, sondern vom Streit über die Bildungspolitik geprägt sein wird. Vielleicht noch Straßenbau. Wenn er gegen Kretschmann argumentiert, kann er jedenfalls nicht punkten, das merkt er regelmäßig.

Normalerweise gilt die Regel, dass man als Landesgrüner vom Wert der Bundespartei abhängig ist und ihn vielleicht um zwei Punkte erhöhen kann. Kretschmann hat die Grünen davon abgekoppelt. In Umfragen stehen sie bei 25 bis 26 Prozent, die CDU kommt auf 38, die Regierungskoalition hat wieder eine Mehrheit.

Wer Kretschmann in Kalifornien erlebt – wo man ihn hinschickt, was er sagt, wie er sich verknüpft –, dem ist klar, dass er einen Wahlkampf führen wird, wie ihn die Grünen noch nie geführt haben. Als Landesvater, der sich um alle seine Kinder kümmert. Und um mehr als das.

In der Landeshauptstadt Sacramento setzt er sich am Dienstag dieser Woche in einem – für kalifornische Verhältnisse – historischen Gebäude namens Stanford Mansion neben den kalifornischen Gouverneur Jerry Brown und unterzeichnet ein Klimaschutz-Abkommen der Regionen. Die Idee: Die zu den weltweit führenden Wirtschaftsregionen gehörenden Länder Kalifornien und Baden-Württemberg sowie neun andere Regionen warten nicht auf Nationalstaaten und den Klimagipfel in Paris, sondern gehen voran.

„Ihr werdet euch prächtig verstehen“, hatte ein politischer Weggefährte zu Kretschmann gesagt, der Brown bereits kennengelernt hatte. „Der ist so verschroben wie du.“ Und dann verstanden sie sich wirklich gut.

Brown war in der ersten Hälfte der siebziger Jahre schon mal Gouverneur und galt bereits damals als Öko. Als zeitweiliger Liebespartner des Popstars Linda Ronstadt („It’s so easy“) wurde er auch kulturell aufgeladen und vom Rolling Stone zum „Groupie of the Year“ ernannt. Lange her, aber Leute, die ihn kennen, sagen, er rede heute noch gern darüber. Jetzt ist er 77. Sieht jünger aus. Wenn er sich nicht bewegt.

Es ist nicht die erste Absichtserklärung von Brown, und er schafft es damit in Nordkaliforniens führender Zeitung San Francisco Chronicle auf Seite 31, Kretschmann auf Seite 36.

Umweltminister Untersteller hat ein Jahr am Zustandekommen der Erklärung gearbeitet und weist den Verdacht zurück, es handele sich um Showpolitik. Man sammele bis Herbst weitere Regionen ein, um kurz vor Paris ein starkes Statement abgeben zu können. Jenseits der Silicon-Valley-Blase hat Kalifornien viele Probleme. Der Klimawandel rangiert da nicht oben, obwohl die mittlerweile chronische Dürre den Handlungsbedarf evident machen müsste. Brown hat die Erneuerbaren vorangebracht, er fördert E-Mobilität. Während die New York Times dieser Tage die deutsche Energiewende romantisierte, weiß er, wie es wirklich darum steht. Als die Delegation um den Tisch sitzt, fragt Brown als Erstes: „Wer ist hier denn nun von der linkesten Partei?“ Kretschmann meldet sich nicht.

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In der Lobby des Hyatt hat der Ministerpräsident die Hände auf den Tisch gestützt, sodass seine Krawatte nach vorn baumelt, die – wie stets – Grün mit anderen Farben verbindet.

Cupidus rerum novarum?

Er war bei Apple, bei Google, bei Tesla. Überall hat er den Drang gespürt, neue Ideen in Geschäftsmodelle umzusetzen. Auch oder speziell in Stanford.

„Fast wie ein Fieber“ sei das. „Ich denke ja grundsätzlich eher konservativ“, sagt er. „Ich denke: Muss man unbedingt andauernd Neues erfinden?“ Aber er sieht, dass seine Minister Untersteller und Bauer dieses Neue aufsaugen. Beide übrigens auch Politiker, von denen Leute sagen, dass sie sie gut finden, „obwohl“ sie Grüne seien.

Kretschmann hat jetzt die Müdigkeit im Griff und redet sich in Begeisterung. Über das „Offene“ dieses Ortes, über das entgegengesetzte Risikoverständnis, über die Klarheit. „Es wird einfach nicht geschwallt.“

Und die ganze Weltverbesserungsrhetorik?

„Gut, das klingt in unseren Ohren ein bisschen kitschig. Aber die schwallen nicht.“

Und dann das „Grün“, das ihm überall begegnet.

„Die sind nicht grün im romantischen Sinne, dass man Käfer und Kröten schützt“, sagt er. „Das hat etwas Technisches. Die machen hier effizientes Öko.“ Nach einem halben Leben in der Politik wisse man, was Schmu ist. Und das hier sei keiner.

Kalifornien hat auch Kretschmann auf den ersten Blick angefixt.

Peter Unfried, 51, ist Chefreporter der taz

Reiner Pfisterer, 47, ist Fotograf in Ludwigsburg