„Jedes Land, das sich bewirbt, will doch ein besseres Image“

EUROPASPIELE DOSB-Vorstandsvorsitzender Michael Vesper über Menschenrechte in Aserbaidschan, die Verantwortung des Sports und über anstehende Gespräche

■ 63, ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbunds und Grünen-Mitglied.

taz: Herr Vesper: Sie haben jüngst erklärt, der DOSB habe frühzeitig damit begonnen, sich ein differenziertes Bild über die Menschenrechtslage in Aserbaidschan zu machen. Was ist dabei herausgekommen?

Michael Vesper: Wir haben uns umfassend informiert. Ich habe zahlreiche Gespräche geführt, sowohl mit der Bundesregierung, mit der deutschen Botschafterin in Baku, mit Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen als auch mit der aserbaidschanischen Regierung. Ich war auch bei einer Anhörung in Brüssel im Europaparlament zu diesem Thema.

Und wie schätzen Sie die Lage nun ein?

Wir sind über die Berichte, die uns erreicht haben, besorgt. Aber auf der anderen Seite muss man sehen: Aserbaidschan ist ein junger Staat, der erst seit 1991 unabhängig ist und vorher ein Teilstaat der Sowjetunion war. Man muss auch die Entwicklungsschritte eines solchen Landes sehen.

Kann man angesichts der vermehrten Festnahme von Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Aserbaidschan als eine Demokratie bezeichnen?

Aserbaidschan hatte vergangenes Jahr den Vorsitz im Europarat inne, es war Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Es steht dem Sport nicht an, zu entscheiden, wie Regierungen politisch einzustufen sind. Die Europäische Kommission verhandelt schon lange mit Aserbaidschan über ein Energieabkommen. Das Land ist ein Mitglied der europäischen Völkergemeinschaft.

Der DOSB hat angekündigt, sich während der Europaspiele mit Regimegegnern zu treffen. Der nach Norwegen geflüchtete aserbaidschanische Journalist Idrak Abbasov fragte kürzlich: „Mit wem wollen die sich denn treffen? Die wichtigsten Leute sind doch alle weggesperrt.“

Wir organisieren solche Treffen nicht als Show-Act. Wir führen die Gespräche nicht öffentlich. Das haben wir in Sotschi so gemacht und werden das auch in Aserbaidschan so tun.

Die Leute, die Sie treffen wollen, sind noch auf freiem Fuß?

Wir werden solche Gespräche führen. Aber lassen Sie mich grundsätzlich sagen: Aufgrund Ihrer Fragen könnte man den Eindruck gewinnen, wir wären eine politische Organisation mit dem Auftrag, die Regierungspolitik in Aserbaidschan zu verändern. Das wäre eine völlige Überschätzung der Rolle des Sports. Wir gehen nach Baku, um an der Premiere eines großen Sportfests mit 6.000 Athleten teilzunehmen, und werden bei dieser Gelegenheit natürlich auch ins Gespräch kommen und für unsere Wertvorstellungen eintreten. Wie die Geschichte zeigt, kann der Sport durchaus Brücken bauen.

Im Europaparlament wurde Ihnen empfohlen, die Menschenrechtslage zum Kriterium zu machen, wenn Großereignisse vergeben werden. Was spricht dagegen?

Die Menschenrechte sind Teil der Olympischen Charta. Die Agenda 2020 sieht vor, dass sie künftig auch explizit Bestandteil der Host-City-Verträge werden, die das IOC mit den Gastgebern schließt. Der Sport ist nicht unpolitisch, aber man darf ihn nicht überfrachten mit Ansprüchen, die er nicht erfüllen kann. Im Europaparlament hat mir im Übrigen niemand eine Antwort auf die Frage gegeben, warum man denn all das, was vom Sport verlangt wird, nicht von den eigenen Institutionen verlangt. Etwa bei den Verhandlungen über ein Energieabkommen, da liegt doch die politische Kraft.

Aber das entlässt den Sport nicht aus der Verantwortung.

Wir stellen uns ja auch dieser Diskussion und leisten unseren Teil. Aber die Probleme können nur auf politischer Ebene und nicht auf der Ebene des Sports gelöst werden. Gerade eben hat Staatspräsident Alijew die Bundeskanzlerin besucht und kurz zuvor war Außenminister Steinmeier in Aserbaidschan.

Aserbaidschan scheint jedoch die Europaspiele instrumentalisieren zu wollen.

Jedes Land, das sich um ein solches Ereignis bewirbt, strebt nach einem besseren Image und verfolgt seine eigenen kommunikativen Ziele. Aber die Medaille hat auch immer eine zweite Seite. Die internationale Aufmerksamkeit im Vorfeld eines solchen Ereignisses ist sehr viel größer als sonst. Ich glaube nicht, dass Sie sich mit der Menschenrechtslage in Aserbaidschan beschäftigen würden, wenn die Europaspiele dort nicht stattfänden.

Reporter ohne Grenzen spricht von einer Verschärfung der Lage. Will der Staat im Zuge des Events die Opposition unterdrücken?

Ich kann nicht einschätzen, ob und wie es da einen Zusammenhang gibt. Aserbaidschan will aber sicherlich keine negativen Schlagzeilen produzieren, sondern sich als junges und aufstrebendes Land in der Völkergemeinschaft darstellen. Von daher wären solche Maßnahmen absolut kontraproduktiv.INTERVIEW JOHANNES KOPP