Kraftprobe in Skopje

MAZEDONIEN Die Kundgebung der Opposition am Sonntag wird zu einer machtvollen Demonstration der Einheit – trotz aller gesellschaftlichen Unterschiede. Jetzt ist die Frage, wie lange der Atem reicht

Nur die zahlreich erschienenen Roma schwenken keine Symbole. Sie haben keine

AUS SKOPJE ERICH RATHFELDER

Noch harren einige Hundert Demonstranten der mazedonischen Opposition nach ihrer Demonstration vom Sonntag vor dem Regierungssitz in Skopje aus. Sie haben Zelte auf dem Grünstreifen inmitten der Fahrbahnen aufgestellt und wollen nach dem Aufruf des Oppositionsführers, Zoran Zaev, bleiben, bis die Regierung gestürzt ist.

Doch Premier Nikola Gruevski kann auf der Klaviatur der Desinformation und der Propaganda spielen. Sogar einige der noch freien Internetportale wurden in den letzten Tagen behindert. Die Versammlung der Opposition wurde in den staatsnahen Medien – und das sind fast alle – mit Bildern dokumentiert, die einige Demonstranten zeigen, lockere Reihen, keine Manifestation der Massen. Es kamen zwar immerhin einige Zehntausend, in offiziellen Medienberichten sieht die Demonstration aber mickrig aus.

Dafür wird die für den Montagnachmittag geplante Gegendemonstration sicher mit Bildern von Massen garniert werden. Und Gruevski kann sich auch darauf verlassen, dass Tausende Staatsdiener zu seiner Demonstration kommen werden.

Während seiner Amtszeit wurde der Bestand dieser Leute von 100.000 auf 180.000 erhöht – viele sind dankbar, Lohn und Brot von der Regierung zu erhalten. Die Praxis, ganze Belegschaften zu den Demonstrationen zu führen, ist eingeübt. Die Jugendorganisation und die Schlägerbanden aus einigen Stadtvierteln sind ohnehin mobilisiert.

Dagegen bietet sich bei der Kundgebung der Opposition ein ganz anderes Bild. Die Menschen sind fröhlich. Schon gegen Sonntagmittag ziehen kleine Gruppen von Demonstranten mit ihren mazedonischen Fahnen, der gelben Sonne auf rotem Grund, über die Steinerne Brücke über den Vardar-Fluss im Zentrum Skopjes. Sie passieren die monumentalen Bauten, die das Regime Gruevski zu Ehren Alexanders des Großen und des mazedonischen Staates errichten ließ. Der Staat verschuldete sich immens, um die riesigen Statuen von Alexander, seinem Vater Philipp und die neuen in einer Art neoklassizistischem Stil gehaltenen Gebäude zu finanzieren. Entlang des Flusses sollen Statuen von wichtigen Männern seit dem Mittelalter von der großen Kultur des kleinen Landes zeugen.

„Guck mal“, sagt Zoran, ein Student aus Ohrid, der mit seinen Freunden zur Demonstration gehen will, „guck mal auf diese Statue der Mutter Alexanders.“ Vier voluminöse Frauenfiguren sitzen unter einem Brunnen und beschreiben die werdende Mutter bis hin zur Geburt. Männer der Geschichte dort, Frauen als Gebärmaschinen hier, witzelt Marija, Studentin aus Kumanovo. Der Geist des Regierungschefs Nikola Gruevski zeige sich in diesen monströs-kitschigen Monumenten.

Schon von Weitem sind patriotische Lieder zu hören. Um 14 Uhr hat sich der riesige Platz vor dem Regierungsgebäude gefüllt. Zehntausende schwenken ihre Fahnen. Vor der Bühne mischen sich mazedonische mit den weinroten Fahnen der Albaner, mit der Regenbogenfahne sexueller Minderheiten, den roten türkischen Fahnen mit dem Halbmond sowie den 4 S der Serben. Nur die zahlreich erschienenen Roma schwenken keine Symbole. Sie haben keine. Der Sänger einer Rockgruppe ist in eine Fahne gewickelt, die alle nationalen Symbole in sich vereint.

Lange bevor die prominenten Redner der Opposition auftraten, ist der Charakter der Versammlung klar. Es sind viele junge Leute gekommen, Frauen und Männer, die älteren gehören zum harten Kern der Sozialisten, viele bekannte Schauspieler(innen) und Musiker sind da, zeigen die Faust, jubeln gemeinsam mit den albanischen und mazedonischen Arbeitern den Rednern zu. Trillerpfeifen ertönen, wenn der Regierungschef Gruevski genannt wird. Und höflich klatschen sie bei den Grußadressen der europäischen Linken.

Über drei Stunden zieht sich die Versammlung hin, viele gehen zwischendurch in die umliegenden Bars einen Kaffee trinken, sind aber wieder zurück, als Zoran Zaev auftritt.

Unter dem Jubel der Menschen beschwört der 40- jährige Sozialdemokrat den Zusammenhalt der Gesellschaft über alle ethnischen und sprachlichen Grenzen hinweg. Er fordert die Regierung erneut zum Rücktritt auf und ruft seine Anhänger auf, nicht nachzulassen im Bemühen, die Regierung zu stürzen. Es haben sich gewaltige Gräben in der mazedonischen Gesellschaft aufgetan. Aber sie laufen nicht mehr entlang der ethnischen Linien. Die Opposition hofft nun auf Hilfe aus Europa und den USA. Gruevski und Zaev sind am heutigen Dienstag zu Gesprächen nach Brüssel geladen.