Betthupferl für das Achtmannzelt

ÖSTERREICH Regierung schickt Flüchtlinge ins Zeltlager. Heftige Kritik

WIEN taz | Zur Begrüßung gab es Mozartkugeln. Welcome to Austria! Dann mussten die Flüchtlinge aus Syrien ihre Zelte beziehen. Am Samstag wurden die ersten 160 Asylwerber aus den Auffanglagern Traiskirchen und Thalham in neu errichtete Zeltlager in Salzburg und Oberösterreich überstellt. „Vorübergehend“, wie Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) beteuert. Humanitäre NGOs werfen ihr Alarmismus vor. Denn an festen Quartieren mangle es nicht.

8 Meter lang, 5,6 Meter breit und 2,70 Meter hoch sind die Zelte in Linz. Zwischen acht Betten und acht Spinden liegt gerade ein halber Meter. Essen gibt es in der Polizeikantine. Duschen darf man in der Polizei-Turnhalle. Drei solche Zeltstädte wurden vergangene Woche errichtet. Protesten von Bürgermeistern, die sich überrumpelt fühlen, hielt die Ministerin entgegen: „Wir alle wurden überrumpelt von dem starken Andrang an Asylwerbern“, allein in den letzten fünf Tagen seien 1.400 Quartiere benötigt worden. Das Angebot an festen Unterkünften durch Länder und Gemeinden reiche bei weitem nicht. Kritiker maßregelte sie als „Sprücheklopfer“.

Und Kritiker gibt es viele. So sprach der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker von einer „Bankrotterklärung der Menschlichkeit“. Grünen-Chefin Eva Glawischnig kritisierte einen „planlosen Alleingang der Innenministerin“. Der Mangel an Privatquartieren sei nicht der fehlenden Hilfsbereitschaft der Österreicher zuzuschreiben, moniert etwa die Caritas, sondern der Kostenrechnung potenzieller Herbergswirte. Bei einem Taggeld von 19 Euro pro Tag und Person sei eine würdevolle Unterbringung nicht zu leisten.

Herbert Langthaler von der NGO Asylkoordination warf Mikl-Leitner vor, die hohe Zahl an Flüchtlingen sei voraussehbar gewesen. Schon im Dezember habe das Innenministerium mit 50.000 Flüchtlingen für 2015 gerechnet. Geschehen sei offensichtlich „viel zu wenig“. Erwartbar auch die Warnung von rechts: FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl sieht Österreich „auf dem falschen Weg“, man könne „nicht die Wirtschaftsflüchtlinge aus aller Welt aufnehmen“.

Flüchtlinge werden nach einem vereinbarten Schlüssel auf die neun Bundesländer verteilt. Die meisten Länder sind allerdings säumig. Daher habe man handeln müssen, sagt Mikl-Leitner: „Wir erledigen nur die vertraglich festgeschriebenen Aufgaben der Bundesländer.“ Das Auffanglager Traiskirchen bei Wien ist mit 1.800 Personen heillos überbelegt, etwa 1.000 sind unbegleitete Minderjährige.

Die SPÖ stellt sich mit erkennbaren Bauchschmerzen hinter den Koalitionspartner ÖVP. So nannte Sozialminister Rudolf Hundstorfer die Zeltstädte eine „absolute Notmaßnahme für wenige Tage“. Und Verteidigungsminister Gerald Klug will prüfen, ob leere Kasernen genützt werden könnten. RALF LEONHARD