„Wir tragen Verantwortung“

MIGRATION Kampnagel-Chefin Amelie Deuflhard diskutiert mit Experten über Flüchtlingspolitik

■ 55, leitet seit 2007 die Kulturfabrik Kampnagel. Zuvor war sie unter anderem Chefin der Berliner Sophiensaele. Foto: dpa

taz: Frau Deuflhard, sollte Deutschland besonders viele Flüchtlinge aufnehmen?

Amelie Deuflhard: Wir nehmen als eins der reicheren Länder sowieso mehr Flüchtlinge auf. Und ja, wir tragen aufgrund des Holocaust eine historische Verantwortung, wenn es darum geht, Menschen nicht in eine gefährliche Situation zurückzuschicken.

Ist dieser moralische Aspekt von Flüchtlingspolitik überhaupt juristisch lösbar?

Das ist nicht nur ein moralisches Problem, sondern auch ein politisches – und das war es immer: Als in den 1990er-Jahren in Ruanda eine Million Menschen umgebracht wurde, sah die Welt zu. Und dass wir jetzt im Mittelmeer Menschen ertrinken lassen, darf einfach nicht passieren.

Was wäre aus Ihrer Sicht zu tun?

Jedenfalls kann es keine Lösung sein, die Schlepperboote zu bombardieren, wie es die EU jetzt plant.

Sondern?

Man muss das Problem an der Wurzel packen: mit den Herkunftsländern kooperieren. Die Menschen dort müssen andere Bildungs- und Arbeitschancen haben. Viele Fischer in Afrika können von ihrer Arbeit nicht mehr leben, weil europäische und amerikanische Konzerne die Meere leer gefischt haben. Wir beuten diese Länder aus, geben aber nichts zurück. Es ist höchste Zeit, auf Augenhöhe zu verhandeln.

Damit weniger „Wirtschaftsflüchtlinge“ kommen …

Damit die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern besser werden. Die Suche nach einem besseren Leben war jahrhundertelang wichtigster Migrationsgrund. Da Wirtschaftsflüchtlinge nicht legal zu uns kommen können, tun sie es illegal. Aber wo sollen sie im Winter hin?

Sie haben mit dem Projekt „Ecofavela“ Lampedusa-Flüchtlingen Obdach gewährt und wurden von der AfD angezeigt. Die Staatsanwaltschaft hat Vorermittlungen gegen Sie eingeleitet. Schüchtert Sie das ein?

Die Rechtsaußen-Partei AfD schüchtert mich null ein. Bedenklicher finde ich, dass die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen gegen mich führt. Es gibt bereits viel private Hilfe, wir haben unser Winterquartier öffentlich gemacht. Aus meiner Sicht wäre es strafbar, im Winter keine humanitäre Hilfe zu leisten. INTERVIEW: PS

Diskussion „Flüchtlingspolitik: Zwischen moralischem Anspruch und politischer Umsetzung“ mit Amelie Deuflhard sowie Steffen Angenendt und Reiner Klingholz (beide Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung): 19 Uhr, Thalia Gaußstraße, Gaußstraße 190