Wo die wilden Geister wohnen

INDUSTRIEBÜHNE Das Theater Strahl geht in Oberschöneweide mit „The Working Dead“ auf Tuchfühlung mit der Vergangenheit

Oberschöneweide braucht einen Sprengbeauftragten

Oberschöneweide ist kein klassischer Theaterstandort. Nördlich der Wilhelminenhofstraße versprühen farblose Häuserreihen, Billigbäcker und Eckkneipen den spröden Charme eines Randbezirks. Auf der anderen Straßenseite grenzen die riesigen Hallen eines ehemaligen Industriegebiets direkt an die Spree. 1890 nahm die AEG hier ihr erstes Werk in Betrieb, später arbeiteten mehr als 25.000 Menschen in „Elektropolis“. Zu DDR-Zeiten war Oberschöneweide, mit je einem Werk für Kabelrollen, Transformatoren und Fernsehelektronik, das größte Industriegebiet Ostdeutschlands. Nach der Wende knickte die Industrie ein, die Arbeitsplätze gingen verloren und die Produktionsstätten standen plötzlich leer. Aus dem Industriegebiet wurde Brache.

Heute wird eine der Industriehallen theatertechnisch neu belebt. Ein Gabelstapler mit Paletten fährt vor dem Eingang hin und her, ein Kleinlaster mit Bühnenrequisiten rollt die Rampe hoch. 200 Zuschauer sollen hier Platz finden, wenn nächste Woche die Premiere von „The Working Dead“ über die Bühne geht, sagte Theaterleiter Wolfgang Stüßel im Innern der leer stehenden Halle, als er diese Woche das aktuelle Projekt des Theaters Strahl vorstellte. Gregor Gysi gab als Bundestagsabgeordneter von Treptow-Köpenick den symbolischen Startschuss für die Endproben.

Das Theater Strahl, 1987 gegründet, ist eines der bekanntesten professionellen Jugendtheater in Deutschland. Mehr als vierzig Produktionen hat die Berliner Gruppe auf die Bühne gebracht. Das Tanzstück „Roses“ erhielt 2013 den Berliner Jugendtheaterpreis Ikarus. Das Theater Strahl bespielt unterschiedliche Spielorte. KAOS, kurz für Kreative Arbeitsgemeinschaft Oberschöneweide, nennt es die Industriehalle in Oberschöneweide. „Es gibt hier noch viel zu tun“, sagt Regisseur Jörg Steinberg. Im Hintergrund stapelt sich noch allerlei Gerümpel, auf der Bühne steht ein gigantisches Gebilde aus schwarzen Paletten, das Bühnenbild von „The Working Dead“.

Steinberg, Hausregisseur am Neuen Theater in Halle, kennt das Industriegebiet von Kindesbeinen an. In Oberschöneweide ist er geboren. Von ihm stammt auch die Idee für „Industriegebietskinder“, ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Kinder- und Jugendtheater Dortmund und dem Thalia Theater Halle. Drei Städte, drei brachliegende Industriegebiete: Vor diesem Hintergrund entwickelte sich in den vergangenen Monaten je eine unabhängige Produktion.

„The Working Dead“ handelt von drei Jugendlichen, die beim Streifen durch die verlassenen Werkstätten nicht nur auf Untote stoßen, sondern auch auf Fragen an das eigene Leben. Jenny (Banafshe Hourmazdi) will Friseurin werden, Thamara (Alice Bauer) will bloß weg von hier und träumt von einer Karriere als Primaballerina. Finn (Franz Lenski) verlangt im Stück den kompletten Neubeginn mit den Worten: „Oberschöneweide braucht keinen Architekten, Oberschöneweide braucht einen Sprengbeauftragten.“

Geschrieben hat das Stück der Jugendtheater-Autor Jörg Menke-Peitzmeyer, der sich dafür nicht nur mit der älteren Generation sprach, die Oberschöneweide noch als Industriebezirk erlebt haben, sondern auch mit Menschen, die heute hier arbeiten, und mit Jugendlichen, die hier aufwachsen. Sein Theater sei aber nicht dokumentarisch, sagt er. Vielmehr solle mit den „Waffen des Theaters“ in der alten Industriehalle die Anwesenheit der Geister der Vergangenheit spürbar werden.

„Als ich sie fragte, was das Schönste sei an Oberschöneweide“, erzählt der Autor, „sagten einige Jugendliche: gratis WLAN bei MediaMarkt“. Bei einem ersten Einblick in eine Szene des Stücks wird klar, dass die jungen Darsteller sich mit dieser Perspektivlosigkeit konfrontieren und in den leeren Hallen an der Spree ihre Freiräume finden.

MIRJA GABATHULER

■ „The Working Dead“, Industriehalle KAOS, Wilhelminenhofstr. 92, Premiere am 19. Mai, 19.30 Uhr