Der Rekordläufer

SCHLUSS Der Äthiopier Haile Gebrselassie hat über die Langstrecke fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Nun will der 42-Jährige keine Wettkämpfe mehr bestreiten. Der Unternehmer strebt in die Politik

„Ich laufe weiter. Damit kann ich nicht aufhören, denn Laufen ist mein Leben“

HAILE GEBRSELASSIE

Eines war für ihn immer klar: Es geht noch schneller. Schon nach seinem ersten WM-Titel über 10.000 Meter in Stuttgart 1993 und dem 5.000-Meter-Weltrekord kurz darauf sagte er: „Wenn jetzt einer schneller läuft, werde ich noch schneller laufen können.“ Und als ihm zwei kenianische Konkurrenten 1997 die Weltrekorde über dieselben Strecken wegschnappten, stellte er klar, er habe sie „nur verliehen“. Meistens behielt er damit recht.

Mit dem Äthiopier Haile Gebrselassie hat am Sonntag einer der größten Stars des Langstreckenlaufs seinen Rücktritt erklärt. Nachdem er beim „Great Manchester Run“ über 10.000 Meter in 30:05 Minuten ins Ziel gekommen war, sagte der 42-Jährige: „Ich laufe keine Wettkämpfe mehr, aber ich laufe dennoch weiter. Damit kann ich nicht aufhören, denn Laufen ist mein Leben.“

Gebrselassie, dessen Markenzeichen sein breites Lächeln ist und der zu den berühmtesten und reichsten Persönlichkeiten Äthiopiens zählt, begann seine Karriere in den frühen 90ern. Der Sohn einer Bauernfamilie, in der zentraläthiopischen Region Arsi aufgewachsen, ging nach Addis Abeba, um dort unter Topbedingungen zu trainieren. Nun begann sein Siegeszug. Nach dem ersten äthiopischen WM-Gold überhaupt (1993) wurde er zum dominierenden Bahnläufer des Jahrzehnts – er gewann vier 10.000-Meter-WM-Titel in Folge. Rekord folgte auf Rekord.

Ab 2004 konzentrierte sich Gebrselassie auf Straßenrennen und die Marathondistanz. Die Rekordserien setzte er fort: Zwischen 2006 und 2009 gewann er vier Mal den Berlin-Marathon, 2008 war er der Erste, der je die 42,195 Kilometer unter 2:04 lief (02:03:59). Die Beziehung zu Berlin war besonders – auch wenn der an einer asthmatischen Allergie erkrankte Läufer in seiner selbst ernannten „Glücksstadt“ beim letzten Start 2011 aufgeben musste. Der 27-malige Weltrekordler und zweimalige Olympiasieger hat über die Langstrecke wohl alles gewonnen, was man gewinnen kann – bis auf den Olympiasieg im Marathon.

Gebrselassie, der in seiner Heimat Firmen gegründet hat, betonte stets, er wolle mit Laufen Geld verdienen, um für Menschen in Äthiopien Arbeitsplätze zu schaffen – er beschäftigt heute mehr als 1.000 Leute. Seit einigen Jahren kokettiert er mit einem Wechsel in die Politik, schloss eine Präsidentschaftskandidatur nicht aus. Das breite Lächeln und die Startnummer, auf der meist nur „Haile“ stand, wird auf den Laufstrecken fehlen. JENS UTHOFF