JÜRGEN GOTTSCHLICH ÜBER ERDOGANS WAHLKAMPF IN DEUTSCHLAND
: Kampf um jede Stimme

Bei den Parlamentswahlen Anfang Juni wird letztlich über einen Systemwechsel entschieden

Die Auftritte von Recep Tayyip Erdogan in Deutschland sind berüchtigt. Immer wieder hat der frühere Ministerpräsident und heutige Präsident der Türkei bei Massenkundgebungen versucht, die Türken in Deutschland für seine Zwecke zu instrumentalisieren, immer wieder gab es deshalb Ärger mit deutschen Offiziellen. Dass es dieses Mal in Karlsruhe vor seiner Rede große Demonstrationen gab, hatte jedoch einen anderen Grund: Erdogan machte Wahlkampf für seine AKP, obwohl er laut Verfassung als Präsident politisch neutral sein muss. Erdogan Fans störte das nicht, Erdogan Gegner umso mehr.

In der Türkei finden am 7. Juni Parlamentswahlen statt, die letztlich über einen Systemwechsel im Land entscheiden. Bleibt es bei einer parlamentarischen Demokratie, bei all ihren Defiziten, die die Demokratie in der Türkei nach wie vor aufweist, oder gelingt es Erdogan, per Verfassungsänderung ein autoritäres Präsidialsystem mit sich selbst an der Spitze durchzusetzen, in dem die Demokratie mindestens für die nächsten zehn Jahre völlig suspendiert würde.

Die gesamte Opposition ist strikt dagegen, und selbst innerhalb der AKP ist das Projekt Präsidialsystem umstritten. Erdogan traut dem amtierenden Ministerpräsidenten Davutoglu nicht zu, die Massen für sein Einmannsystem wirklich zu begeistern, deshalb nimmt er den Wahlkampf selber in die Hand. Und, da es knapp werden wird und ein Einzug der kurdischen HDP ins Parlament eine verfassungsändernde Mehrheit verhindern würde, kämpft Erdogan auch um jede Stimme in Deutschland.

Tatsächlich trägt der bedenkenlose illegale Einsatz von Recep Tayyip Erdogan aber dazu bei, den Wählerinnen und Wählern klarzumachen, dass es bei einem erneuten Sieg des Präsidenten für längere Zeit das letzte Mal sein könnte, dass ihre Stimme zählt.

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