Schluss mit dem Kommerz

SKULPTUR Bevor das Gerhard-Marcks-Haus wegen Renovierung schließt, durfte Christian Helwing das Museum selbst zur Skulptur machen. Der Hauspatron wird zum Material

So wie sich Marcks über die Form der Bildhauerei nähert, tut Helwing dies über den Raum

Yvette Deseyve

VON JENS FISCHER

Wesenseigen scheint es Zwillingen, auf Mängel der zweiten Ausgabe ihrer selbst hinzuweisen: Guck mal, wie schäbig die wirken, die Säulen des Wilhelm-Wagenfeld-Hauses. Der historische Torhaus-Zwilling steht gleich gegenüber und ist dem Werk von Gerhard Marcks gewidmet.

Passenderweise stellen sich dortige Ausstellungsmacher gern die Aufgabe, mit kleinen Interventionen große Aufmerksamkeit zu generieren für eine vor lauter Selbstverständlichkeiten unsichtbar gewordene Realität. So ergänzt sich das zu einem kunstvollen Seitenhieb. Kürzlich putzten die Marcksisten ihren Musentempel zu einem „begehbaren rhythmischen Bild“ heraus, indem sie mit schwarzer Folie die sechs Portikus-Säulen partiell einwickelten, was das Säulensextett gegenüber umso schäbiger wirken lässt.

Gemein. Aber ein sinniger Einstieg in die Ausstellung „Christian Helwing: Marcks und das Museum“. Der in Riga lebende Künstler wurde zur Abschiedsinszenierung des Hauses geladen, das von August 2015 bis Oktober 2016 schließt. Fürs Siegel „barrierefrei“ wird durchrenoviert, das Obergeschoss erschlossen, die Rhetorik der Fassade herausgeputzt, in der Säulenhalle ein Glasfoyer eingezogen. Ein letzter Blick vor dem Umbau lohnt. Noch einmal präsent ist mit 25 sonst eher nicht gezeigten Beispielen die klassisch figürliche Plastik des „Veteranen der braven deutschen Moderne“, wie Direktor Arie Hartog den Hauspatron nennt. Aber erstmals wirken Marcks’ Werke in dem Haus eher wurscht. „Nur Material für diese Ausstellung – wie auch Farbe, Mineralwasserkisten, Museumssockel und Tischlerplatten“, erklärt Kuratorin Yvette Deseyve.

Die beiden Künstler sind keine Zwillinge im Geiste. „So wie sich Marcks über die Form der Bildhauerei nähert, tut Helwing dies über den Raum.“ Er schloss sein Kunst-Studium 2005 an der Bremer HfK als Meisterschüler von Yuji Takeoka ab und befreit seither nicht irgendwelche Antlitze aus Stein, sondern verleibt sich Architektur ein. Hier erklärt er das gesamte Museum zur Raumskulptur. Was Deseyve „archiskulpturale Arbeit“ nennt, ist der Versuch, Strukturprinzipien des Museumsbaus durch Minimalrequisiten und malerischen Minimalismus-Einsatz der Nichtfarben Schwarz, Weiß und Grau zu verdeutlichen und mit Marckskunst zu garnieren. Los geht’s schon im Eingang. Helwing hat den Windfang farblich durchschnitten und lenkt die Wahrnehmung auf die dem Tor gegenüberliegende Glastür.

Potzblitz, mag der Besucher denken, dass darauf endlich hingewiesen wird. Die Tür fiel tatsächlich bisher nie auf, weil Gäste meist flott rechts an ihr vorbei zum Kassentresen hetzten. Dort gleich die nächste Intervention: Der Shop ist „nur noch bleicher Schattenriss seiner selbst“, freut sich Deseyve: Schluss mit Kommerz. Die leeren, grau gerahmten Regale sind jetzt Kunst: Behauptungen einer geometrisch-abstrakten Ästhetik. Wer genau hinschaut, entdeckt einen Miniaturtorso von Gerhard Marcks und seinen Mahnmalentwurf für Bergen-Belsen. Deseyve erläutert, diese Werke und die Art, in der Helwing die rechteckigen Umrisse eines Regals auch dort an die Wand malt, wo gar kein Regal steht, zeigten das Interesse beider Künstler an „Verhältnismäßigkeiten und Proportionen“. Endlich Gemeinsamkeiten!

Im „Lesesaal“ ist all das zu recherchieren. Auch wenn die ausgelegten Texte so peinigend akkurat drapiert sind, dass unwillkürlich nach dem „Anfassen verboten“-Schild gesucht wird. Denn auch der Tisch ist natürlich nicht einfach Tisch. Als stilisiertes Dreieck verweist er auch auf den Grundriss des Museums – und wird „Raumobjekt, Skulptur“, ist sich Deseyve sicher. Andere Erkenntnisse sind von eher dröger Schlichtheit: „Im Zentrum / Das Auge“ ist ein Raum betitelt. Wer sich ins Zentrum begibt, ist von einem Dutzend Bronzeköpfen umgeben, die allerdings nur von hinten zu erleben sind. Nebenan verstecken sich Figurinen voreinander – statt spannungsgeladene Blickbeziehungen herzustellen. Durch das Verrücken normierter Präsentationsregeln sollen diese kenntlich werden.

So schön im Scharniertrakt zwischen Alt- und Neubau durch frisch geputzte Fenster die Sichtachsen von „innen und außen, Museum und Stadtraum“, ja Verbindungen von „Kunst und Gesellschaft“ erlebbar würden, wie der Ausstellungsführer interpretiert, so schön wird der Ausblick in die Wallanlagen verhindert. Mit Kefir wurde die Fensterfront bestrichen. Sanft bricht sich nun das Licht und illuminiert Marcks’ Werkverzeichnis: 1206 bildhauerische Arbeiten wandfüllend aufgelistet. „Und alle ganz real auch verwahrt bei Sammlern und in unseren Museumsdepots“, macht Deseyve den Unterschied zu Helwings Kunst deutlich. „Am 3. August wird hier alles weiß gerollt, alles Eingebaute abgeräumt und sein Werk für immer verschwunden sein.“

■ bis 2. August, Gerhard-Marcks-Haus