Bilder, die sich gleichen

MAGNUM Siebzig Jahre nach Kriegsende fragt eine Fotoausstellung zum Thema „Odyssee Europa“, warum die Deutschen, die Flucht und Vertreibung erlebt haben, plötzlich von „illegaler Einwanderung“ sprechen

VON UWE RADA

Vier Frauen, unterm Arm ein paar Habseligkeiten, unter ihren Füßen nur der heimatliche Acker, den sie bald verlassen haben werden. Auch der Grund für die Flucht ist auf der Fotografie von Robert Capa zu erkennen: Im Hintergrund brennt ein Bauernhof. Das Leben hier ist Geschichte, die Zukunft vollkommen unsicher. Nur eines ist klar: Diese Zukunft kann es nur an einem anderen Ort geben. Wo dieser liegt, wissen vielleicht nicht einmal die vier Frauen.

Deutschland, 1945 heißt die Fotografie, die Capa, der 1947 die Agentur Magnum mit begründete, in Wesel am Rhein aufgenommen hat. Sie ist der Auftakt für eine Ausstellung von Magnum-Fotografen mit dem Titel „Odyssee Europa“, die derzeit in der Mercator-Stiftung zu sehen ist. 50 Momentaufnahmen von Menschen auf der Flucht. Aus Deutschland, Syrien, Darfur, Libyen.

50 Millionen Menschen, so schätzt es das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge, sind derzeit auf der Flucht. 40.000 Menschen sind seit 2008 allein im Mittelmeer ertrunken. Europa schottet sich ab. In Deutschland gehen die Menschen gegen eine angebliche „Islamisierung des Abendlands“ auf die Straße. In jenem Deutschland und Berlin, in dem nach 1945 vierzehn Millionen Flüchtlinge aus Schlesien, Ostpreußen, Böhmen angekommen sind.

„Als Heimatvertriebene haben meine Großeltern selber die leidvolle Erfahrung einer Flucht gemacht, aber für die Flüchtlinge aus Syrien oder Eritrea haben sie kein Mitleid“, schrieb unlängst ein junger Mann in einem „Leserbeitrag“ für die Zeit. Auch die Magnum-Fotografen stellen diese Analogie her, fragen, was der Unterschied ist zwischen Flucht und Vertreibung damals und angeblich „illegaler Einwanderung“ heute.

Displaced persons hießen nach 1945 diejenigen, die nicht wussten, wo sie hinsollten – ehemalige Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene. Teilt der Mann, von dem auf der Fotografie von Werner Bischof aus dem Jahre 1946 nur die Füße zu sehen sind, ein solches Schicksal der Heimatlosigkeit? Wir wissen es nicht. Bischofs Tagebuch aus dieser Zeit, heißt es in dem Begleittext zum Foto, ist verschwunden. Die Texte zu den Fotos stammen von Absolventen der Reutlinger Reportageschule. Sie erzählen sowohl die Geschichte der Fotografen als auch die der Menschen, die darauf zu sehen sind.

Viele der Magnum-Fotografen waren und sind Kriegsreporter. Die meisten Aufnahmen aber zeigen oft nicht den unmittelbaren Anlass für die Flucht, sondern die Menschen im unmittelbaren Zustand der Heimatlosigkeit. Auf der Fotografie von Moises Saman Syrien, 2014 sind es jesidische Flüchtlinge aus dem Sindschar-Gebirge, die vor dem Terror des „Islamischen Staates“ (IS) geflohen sind. Sie konnten nur über einen Sicherheitskorridor entkommen, den die Kurden errichtet haben. Für diesen Moment sind der Junge und die anderen im Lager in Sicherheit.

Aber was wird dann kommen? Diese Fragen haben sich auch die vier Frauen gestellt, die 1945 den brennenden Hof verließen.

■ „Odyssee Europa“, bis zum 11. Juni. Dienstag und Donnerstag in der Mercator-Stiftung. Neue Promenade 6. Anmeldung unter pzb@stiftung-mercator.de erbeten