PRAXIS BÜLOWSTRASSE
: Ein Jucken

Drei Mal läutet das Telefon, keiner hebt ab, kein Personal in Sicht

Termin beim Arzt, über arzttermine.de gebucht, mit ein paar Klicks war alles erledigt – Viertel nach fünf am Donnerstag dann. Erster Stock, Schöneberg; fahles Licht schlägt einem beim Betreten der Praxis entgegen, fahl auch die Gesichter der Menschen, ein Lichtaufzugschacht die einzige Verbindung zur Außenwelt.

Außer wartenden Patienten lässt sich niemand blicken, hinter dem Empfangstresen sitzt niemand, und es wird auch niemand die nächsten Minuten erscheinen, drei Mal läutet das Telefon, keiner hebt ab. Dafür verkündet ein Plakat am Eingang der Praxis, dass man angehalten ist, eine Wartenummer zu ziehen: „443N“, spuckt die Maschine schwarz auf weiß aus, „4 Personen vor Ihnen, Wartezeit 11 Minuten“.

Oh, wie das unangenehm sofort am ganzen Körper juckt. Hautarzttermin eben.

Oder ist das Jucken doch eher der Tatsache geschuldet, dass man sich in diesem Praxisloch hier verloren fühlt?

Fünf Minuten, gefühlt mehr, sind jetzt seit dem eigenen Eintreffen vergangen, kein Personal in Sicht, nur die vor einem Wartenden, stier geradeaus guckend oder beim Warten im Focus blätternd.

„Jetzt reicht’s aber“, denkt man sich und kritzelt, aller vornehmen Zurückhaltung abhold, flugs und krakelig auf die Wartenummer: „Danke für den freundlichen und persönlichen Empfang.“

Schreibt’s, legt’s auf den Tresen und ist schon wieder hinaus zur Tür, hinaus aufs Trottoir und hinein zum „Stehcafé Froben 23 Stunden“, schräg gegenüber liegt es und in der Frühabendsonne. Jetzt ein Berliner Kindl, und am benachbarten Stehtisch bestellt einer gerade: „Alle, die jetzt hier sind, sind in 100 Jahren weg.“ – „Manche sind schon vorher nicht mehr da“, denkt man sich und wirft einen allerletzten Blick auf die Hautarztpraxis Bülowstraße.

HARRIET WOLFF