Irgendwann hängt sich jemand auf

THEATERTREFFEN Knoten der Geschichte, Inseln der Fantasie: Stücke von Ewald Palmetshofer (Burgtheater Wien) und Judith Schalansky (Schauspiel Hannover) erfüllten nicht ganz die von den Autoren erweckten Erwartungen

„Komme gleich wieder“ rufen auf blanken Füßen treppauf und treppab eilende Musiker und Schauspieler dem verstreuten Publikum zu

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Masche an Masche ist verkettet in der Häkelschnur. Die Alte (Elisabeth Orth) zieht sie hinter sich her, über den Torf bedeckten Boden schlurfend, zwischen roten Vorhängen, die rauf- und runterfahren und weißen Planen, die quer über die Bühne gezogen werden. Bei jedem Auftritt scheint die Schnur länger geworden und das Knäuel dicker. Irgendwann hängt sich jemand dran auf, das ahnt man schon in Robert Borgmanns Inszenierung der „unverheirateten“, die zum Theatertreffen eingeladen ist.

Verkettet sind in dem Text von Ewald Palmetshofer auch die Junge (Stefanie Reinsperger), die Mittlere (Christiane von Poelnitz) und die Alte mit vielen Schlaufen, aus denen sie nicht rauskönnen. Der Stücktitel, „die unverheiratete“, passt auf alle drei; die Geschichte ihrer Liebesunfähigkeit beginnt mit einem Verrat, den die Großmutter beging, die Denunziation eines Deserteurs kurz vor der Befreiung Wiens. Nach dem Krieg wurde sie dafür zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Das Schweigen über diese Geschichte und die Weigerung der Großmutter, über Schuld nachzudenken, wird für Mutter und Tochter zu einem unüberwindbaren Hindernis auf der Suche nach sich selbst.

Bitter, scharfkantig, böse

Der Text von Ewald Palmetshofer ist bitter, scharfkantig, böse manchmal auch, was die Beziehungen unter den Frauen angeht, und verschachtelt. Schon deshalb sind die Erwartungen groß an die Inszenierung des Burgtheaters in Wien, wo das Stück uraufgeführt wurde. Auf Österreichs Verfehlungen in der NS-Zeit zu schauen ist dort ein programmatischer Ansatz. Der Raum, den Robert Borgmann für das Stück entworfen hat, ist karg unter schmerzhaftem Neonlicht; Gefängniszelle, Krankenzimmer und Friedhof – alles ist nebeneinander präsent und so, wie im Text auf ein Stichwort hin Szenen aus der Vergangenheit in die Gegenwart schießen und wie eine Blase Fäulnis mitten im Bett der Enkelin und ihrer wechselnden Liebhaber aufplatzen, so lässt auch der Raum das Verschieben der Zeiten zu. Allein, diese Dynamik reicht nicht aus, den Figuren der drei Frauen immer die nötige Präsenz zu verleihen.

Der komplizierte Text versuppt teilweise, ist auch akustisch nicht immer verständlich. Vier Schwestern begleiten die Alte, Mittlere und Junge als ein Chor; mal als Gefängnisschließerinnen, mal als Kinder kostümiert, von der Gerichtsverhandlung erzählend oder von dem jungen Soldaten, der auf die Anzeige der Großmutter hin standrechtlich erschossen wurde. Eigentlich dürfte einem davon kein Wort entgehen. Das aber schafft die Inszenierung nicht. Man verliert Textmaschen, die Konzentration fällt schwer. Die Einladung zum Theatertreffen gleicht so mehr einer Geste der Anerkennung des Potenzials von Autor und Regisseur als dem Transport einer gelungenen Inszenierung.

Die Sorge, ob sich die Inszenierung ohne Schaden versetzen lässt, war groß beim Team um den jungen Regisseur Thom Luz, der am Schauspiel Hannover den „Atlas der abgelegenen Inseln“ eingerichtet hatte und damit zum Theatertreffen eingeladen wurde. Für das mehrstimmige Hörstück, das auf die verschiedenen Stockwerke eines Treppenhauses verteilt ist, wurde in Berlin schließlich das Carl-von-Ossietzky-Gymnasium in Pankow als Ort gefunden. Geschwungene Treppen, teils doppelläufig, Säulen und Bogenfenster, gewölbte Decken und kleine Steinskulpturen machen das Treppenhaus zu einem fürstlichen Auftrittsort, nostalgisch in seiner Schönheit, während Aushänge wie „Finde deine Zukunft – 18 Uhr in der Aula“ oder „Bitte Ruhe, Abiturklausuren“ eine Schwelle markieren zwischen Schule und Erwachsenwerden. Ein idealer Ort für spielerische Fantasien.

Eine Tür schlägt zu

Und das ist der „Atlas der abgelegenen Inseln“, angelehnt an ein Buch von Judith Schalansky, in hohem Maße. Hier muss man nicht jedes Wort verstehen; grade der abgebrochene Satz, die verwehte Melodie ist Konzept, um Vorstellungen anzutippen, die im Kopf des Zuschauers dessen eigenen Film in Gang setzen. „Somewhere o..“ hört man einen Chor anstimmen, bevor eine Tür zuschlägt; „komme gleich wieder“ rufen auf blanken Füßen treppauf und treppab eilende Musiker und Schauspieler dem Publikum zu.

Fragmentarisch bleibt, was man sich doch noch aus kurzen Texten über Seefahrer, Ozeanfliegerinnen, Siedler auf fernen Inseln und den ungewöhnlichen Lebensregeln der dort Geborenen zusammenreimen kann; Textinseln eben, von suchenden Klängen gerahmt und von Darstellern, die mit Kompass oder Stoppuhr zwischen den Zuschauergruppen pendeln.

Das war eine feine Sache, die zwischen Konzert, Installation und Erzählung angenehm offen auch von verlorenen Paradiesen und versandenden Utopien erzählte. Solchen Konzepten begegnet man in Berlin eigentlich recht oft, in Projekten der Freien Szene oder auch von Studenten, die ihre Institutsräume bespielen. Die Einladung zum Theatertreffen ist deshalb etwas überraschend; so nett und unangestrengt unterhalten zu werden erwartet man hier eher nicht.