Die Tücken des Autorenkinos

CHAMPIONS LEAGUE Gekommen, um den Kontinent zu dominieren, steht Pep Guardiola nach dem 0:3 beim FC Barcelona erneut vor dem Halbfinal-Aus mit den Bayern – und ihm bleiben nur die alten Ausreden

Ein großer Coach und ein großer Klub zusammen ergeben derzeit noch nichts wirklich Großes

AUS BARCELONA FLORIAN HAUPT

Aus den Lautsprechern lief die Barça-Hymne, auf dem Rasen begann die Orgie der Handshakes und Umarmungen. Das letzte Gespräch vor dem Gang in die Kabine führten Marc-André ter Stegen und Manuel Neuer – die beiden Torhüter. Ter Stegen hatte keinen Ball halten müssen, Neuer lange wie der Held der Nacht ausgesehen während dieser vier Fünftel des Spiels, in denen wenig auf ein fulminantes Endergebnis hindeutete. Aber Barcelona und der FC Bayern, die können es offenbar nicht knapp miteinander. Mit 4:0 eröffneten die Katalanen im Jahr 2009, mit 4:0 die Münchner 2013. Beide Male hätte man sich die Rückspiele schenken können.

Darauf deutet auch diesmal alles hin, auch wenn das Spiel nur 3:0 ausging nach zwei späten Toren von Lionel Messi und einem sehr späten von Neymar. „Wir müssen versuchen zu glauben“: die Einschätzung von Neuer brachte auf den Punkt, wie viele Chancen sich die Bayern selbst noch geben. Und so hatten manche Freundlichkeiten nach Abpfiff fast schon etwas Definitives. An einem Abend, an dem in München nach Arjen Robben auch Franck Ribéry die Saison verletzt für beendet erklärte, könnte beim FC Bayern auch eine Ära zu Ende gegangen sein. Ribéry, Robben, Lahm, Schweinsteiger, alle die 30 überschritten: die vier Eckbausteine eines großen Teams, das Louis van Gaal konzipierte, Jupp Heynckes zu voller Pracht führte und das Pep Guardiola – ja was eigentlich?

Nach dem 0:4 vorige Saison gegen Real Madrid erlitt der Starcoach die zweite kapitale Pleite in seinem zweiten Halbfinale als Bayern-Trainer – wieder gegen ein Team aus seiner Heimat Spanien, diesmal sogar gegen den Exklub, den er doch so gut kennen sollte. Sein taktisches Konzept mit einer hohen Verteidigung, energischem Pressing und beruhigendem Ballbesitz schien auch lange zu funktionieren, zumal im Verbund mit einem überragenden Manuel Neuer – der allein gegen Luis Suárez (12.), allein gegen Dani Alves (40.) und dank fast übersinnlicher Antizipation allein gegen Neymar (61.) klärte. Doch das alles mochte nur für ausreichend befinden, wer den rhetorischen Schwenk in die Außenseiterrolle mitging, den die Bayern unter Hinweis auf ihre Verletztenmisere vollzogen hatten. Eigentlich traten jedoch die vor zwei Jahren gedemütigten Katalanen als Herausforderer an. Und mit welcher Verve sie gegen Ende ihre Revanche zelebrierten, überforderte selbst gestandene Weltmeister. Als Guardiolas Rezept am Ende und Schadensminimierung gefragt war, rannten sie blind ins Verderben – eine Herde ohne Hirte. „In der Schlussphase hat uns das Selbstvertrauen gefehlt“, sagte Neuer.

Es ist nicht das erste Mal, dass Guardiolas Autorenkino versagt, wenn der Plot eine überraschende Volte nimmt. Wenn zum Beispiel ein Messi auftaucht, der die üblichen Genregrenzen des Fußballs sprengt. Entsprach das 1:0, ein präziser Flachschuss von der Strafraumgrenze, noch handelsüblichem Muster, war das 2:0 drei Minuten später selbst für seine Verhältnisse ein seltenes Meisterwerk. Auf engem Raum den kompetenten Innenverteidiger Jerome Boateng ins Leere torkeln zu lassen und dann noch den weltbesten Keeper zu überlupfen – das ist tatsächlich der „Unterschied zwischen einem sehr großen und einem einzigartigen Spieler“, wie Teamkollege Ivan Rakitic erklärte.

Schüsse aufs Tor: Null

Einer der sehr großen Spieler, Neymar, schraubte das Ergebnis noch auf 3:0 (94.). Neymar – das hatte Guardiola noch gefehlt. Den hätte er einst gern zu den Bayern geholt, doch der Verein entschied sich für Mario Götze.

Und so wird man nach wie vor den Eindruck nicht los, dass da ein großer Coach und ein großer Klub zusammen nichts wirklich Großes ergeben. Der hochgejazzte Guardiola-Liebling Thiago Alcántara belegte, warum er bei Barça nie über die Ersatzspielerrolle hinauskam. Guardiola-Liebling Xabi Alonso hielt lange die Stellung, konnte die Wellen aber am Ende auch nicht mehr brechen. Und dem Trainer selbst – verpflichtet, um den Kontinent zu dominieren – blieben am Ende wieder nur die alten Ausreden: „Wir hatten in den letzten Monaten viele Probleme.“

Immerhin: Zum ersten Mal seit 96 Champions-League-Spielen wurde der FC Barcelona im Duell um den Ballbesitz besiegt. 52 Prozent zu 48 Prozent für die Bayern. Die schlechte Nachricht stand auf dem Statistikbogen zwei Zeilen weiter unten. Schüsse aufs Tor: Null.