Gegenwart, als Zukunft bemäntelt

KINO-KONGRESS Seit 20 Jahren gibt es in Bremen ein internationales Symposium zum Film, verwoben mit einem Filmprogramm. In diesem Jahr befassen sich akademische und andere Cineasten mit der Science-Fiction

Das Symposium war von Anfang an keine rein akademische Veranstaltung

VON WILFRIED HIPPEN

Filme sehen und am selben Ort darüber reden: Das war die Idee hinter dem „Internationalen Bremer Symposium zum Film“, 1995 erstmals organisiert vom örtlichen Kommunalkino – damals noch als „Kino 46“ im Waller Medienzentrum beheimatet – gemeinsam mit der Uni Bremen. Man versammelte sich im Kinosaal, sodass jeweils die Filme, die in Vorträgen analysiert und interpretiert wurden, auch gleich dort gezeigt werden konnten. Bis einschließlich Sonntag (und genau genommen schon seit dem gestrigen Mittwoch) findet das Symposium nun wieder statt.

1995 wurde der 100. Geburtstag des Kinos mit einem finanziell gut ausgestatteten Unesco-Projekt gefeiert, und in dessen Rahmen wurde auch das Bremer Symposium gegründet. Das erste Thema war dann auch: „100 Jahre Kino“. Im nächsten Jahr wurde über „Filmkritik“ doziert, aber einen auch theoretisch interessanten Schwerpunkt gab es erst im dritten Jahr: „Dschungel Großstadt“.

Schon vom ersten Jahr an war das Symposium ein Erfolg, weil es eben keine rein akademische Veranstaltung war. Die Veranstalter bemühten sich darum, dass die Vorträge nicht zu theorielastig wurden, man lud gleichwohl Koryphäen wie Georg Seeßlen, Thomas Elsässer, Elisabeth Bronfen und Klaus Theweleit ein. Die Filmauswahl war stets eine Mischung aus populären Klassikern und zum Teil sehr speziellen Geheimtipps, und die Cineasten der Stadt wussten dies zu schätzten.

Seit 1997 wird im Verlag Bertz & Fischer jeweils ein Reader mit den Vorträgen der Symposien veröffentlicht. 1999 wurde von der Kunst und Kulturstiftung der Sparkasse Bremen der Bremer Filmpreis gestiftet, der Persönlichkeiten verliehen wurde, die sich um den europäischen Film verdient gemacht haben. Er wurde im Rahmen des Symposiums feierlich im Rathaus übergeben und verschaffte mit Preisträgern wie Bruno Ganz, Tilda Swinton und Lars von Trier der Veranstaltung sogar nennenswertes Medieninteresse.

2013 entschloss man sich die beiden Veranstaltungen zu entkoppeln, und die Gründe dafür sind wiederum ein Beleg dafür, dass das Symposium in einer Krise steckt: Über die Jahre kamen immer weniger Besucher, selbst die Studierenden blieben zunehmend fern. Die Veranstalter vermuten einen Grund darin, dass das Symposium jeweils im Januar des Jahres stattfand – in der vorlesungsfreien Zeit. So wird nun der Preis weiter zu Jahresanfang verliehen, das Symposium selbst aber wurde in den Mai verlegt.

Der eigentliche Grund für das mangelnde Interesse ist wohl eher, dass in den letzten Jahren das Gleichgewicht zwischen Kino und Uni immer mehr verloren ging. Während früher Titel wie „Wo/man – Kino und Identität“ und „Unheimlich anders. Doppelgänger, Monster, Schattenwesen im Kino“ neugierig machten, sind jene der letzten Jahre wie „Was ist Kino? Auswählen, Aufführen, Erfahren“ oder „Film und Geschichte“ denkbar allgemein und nichtssagend gehalten. Das Symposium entwickelte sich zu einer zunehmend akademischen Veranstaltung mit oft sehr speziellen, abstrakten, ja: langweiligen Vorträgen.

In diesem Jahr ist unter dem Titel „Die Zukunft ist jetzt“ erstmals ein populäres Genre Thema: Science-Fiction. Die erzählt ja immer nur scheinbar von der Zukunft, im Grunde aber von der Gegenwart. Wer sich etwa damals produzierte utopische Filme ansieht, erfährt viel über die 50er- oder 60er-Jahre. Genau hier setzt Vivian Sobchack mit ihrem Vortrag an (Do, 20.30 Uhr): Die Professorin für Theater, Film und Fernsehen an der University of California in Los Angeles hat analysiert, wie seit den Anschlägen des 11. September 2001 in den USA von der Zukunft erzählt wird. So diagnostiziert sie eine „allgemeine Resignation, die den apokalyptischen oder Endzeiterzählungen eigen sind“.

Außerdem hat Sobchack erkannt, dass im zeitgenössischen SF-Film alternative Geschichten von der Zukunft mit wenigen Ausnahmen immer wieder zurück in die Vergangenheit führen. Ein guter Beleg für diese These ist der Film zum Vortrag, der hierzulande nur auf DVD veröffentlichte „Predestination“ von Michael und Peter Spierig (Do, 18.30 Uhr): Hier werden die logischen Probleme des Zeitreisens so intelligent und einfallsreich zu Ende gedacht, dass der Protagonist am Ende nicht nur sein eigener Vater, sondern auch seine eigene Mutter ist.

Simon Spiegel von der Universität Zürich untersucht am morgigen Freitag, 16.15 Uhr, wie in SF-Filmen das „Wunderbare“ plausibel gemacht wird, indem Aliens, Raumschiffe, Androiden und Zeitmaschinen naturalistisch präsentiert werden.

Sheryl Vlint von der Universität von Kalifornien hat „counterfactuals“ in der Science-Fiction untersucht, also alternative Geschichtsentwürfe: Was wäre, wenn John F. Kennedy nicht erschossen worden wäre – oder Deutschland den 2. Weltkrieg gewonnen hätte (Fr, 20.30 Uhr)?

Neben diesen Keynotes finden sich im Programm fünf Panels, auf denen Wissenschaftler in kurzen Referaten ihre Forschungsergebnisse und Thesen vortragen. Die Bandbreite reicht dort von der Figur des „Ingenieurs“ in SF-Filmen der 30er-Jahre über „Szenarien der postapokalyptischen Erde“ bis zu den „Sounds of Space“, also den Klanglandschaften, die sich der technologischen Entwicklung folgend verändern.

Das Symposium wird diesmal zum ersten Mal mit einer Art Publikumstag abgeschlossen: Am Sonntag werden Adaptionen von Erzählungen des polnischen Schriftstellers Stanislaw Lem gezeigt, darunter „Der schweigende Stern“ (11 Uhr), eine ostdeutsch-polnische Produktion aus dem Jahr 1960, und die sehr komische ZDF-Serie „Ijon Tichy: Raumpilot“ (18 Uhr).

„Die Zukunft ist jetzt. Science-Fiction-Kino als audio-visueller Entwurf von Geschichte(n), Räumen und Klängen“: bis Sonntag, City 46, Bremen www.city46.de/symposium/symposium.html www.film.uni-bremen.de/de/filmsymposium/aktuelles-filmsymposium.html