Chaos in der Röntgenklinik

STRAHLENSKANDAL Ein Gutachten attestiert schwere Mängel in der Asklepios-Strahlenklinik St. Georg. Ein Kontrolleur hatte sich bei der Klinik zuvor um den Chefposten beworben

■ Die Ärztliche Stelle ist eine bei den Ärztekammern der Bundesländer angesiedelte Einrichtung zur Qualitätssicherung bei der medizinischen Strahlenanwendung.

■ Die Ärztliche Stelle Hamburg hatte 2014 einen umfangreichen Prüfungsbericht über die Strahlenklinik St. Georg vorgelegt und erhebliche Mängel bei über 50 Bestrahlungen aufgelistet.

■ Klinik-Betreiber Asklepios hatte vor allem den Vorwürfen zu hoher oder überflüssiger Bestrahlung stets widersprochen – zu Recht.

VON MARCO CARINI

Nun ist es definitiv: In der Asklepios Klinik St. Georg ist es zwischen 2010 und 2013 zu unzureichenden Bestrahlungen von zehn Krebs-Patienten gekommen. Das bestätigt ein von der Gesundheitsbehörde bei dem ehemaligen Leiter der Kieler Klinik für Strahlentherapie Bernhard Kimmig in Auftrag gegebenes Gutachten.

Doch damit nicht genug: Neben den von Asklepios selbst öffentlich gemachten Fehlbestrahlungen attestiert Kimmig der Strahlenklinik „erhebliche Mängel bei der Dokumentation von Befunden, Behandlungen und Aufklärung der Patientinnen und Patienten“. Darüber hinaus gebe es „Defizite hinsichtlich der gebotenen systematischen Nachsorge der Bestrahlten“, lautet das vernichtende Urteil des Sachverständigen.

Sowohl Kimmig als auch Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) sprachen am Dienstag von „schwerwiegenden Mängeln und Fehlern“, zu denen es in der Strahlenklinik gekommen sei. Da die viel zu niedrig dosierten Bestrahlungen aber nicht der Krebsbekämpfung, sondern „nur“ der Schmerzlinderung der medizinisch bereits aufgegebenen Krebspatienten hätten dienen sollen, sind diese nicht verantwortlich für den späteren Tod der Patienten. Damit könnten sich auch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung im Amt erledigt haben.

Auch ein weiterer, von einer Prüfkommission der Ärztlichen Stelle aufgestellter Vorwurf erwies sich als „nicht haltbar“: Die Prüfer hatten im November 2014 behauptet, fast 50 Patienten seien in St. Georg ohne jede Diagnose, die eine Strahlentherapie eindeutig begründet hätte, bestrahlt worden und das obendrein in „zu hoher Dosierung“. Diese Bestrahlungen seien „korrekt und gerechtfertigt“ gewesen, hält Kimmig dagegen. „Das neue Gutachten entkräftet wesentliche Vorwürfe des alten Prüfberichtes“, sagte Asklepios-Sprecher Thomas Wolfram erfreut.

Dagegen kritisiert Kimmig die „sehr, sehr unübersichtliche Aktenführung“, die „für Außenstehende kaum durchschaubar sei“. Die Patientenakten seien „mangelhaft und unvollständig“ geführt worden. Solche „erheblichen Defizite“ bei der Dokumentation seien kein Kavaliersdelikt, sie könnten leicht „zu Behandlungsfehlern führen“.

Besonders bedenklich: Seit mehr als zehn Jahren wurde das Dokumentations-Chaos der Klinik bei externen Prüfungen immer wieder moniert – verändert aber hat sich bislang offensichtlich wenig. Seit vergangenen Oktober wird nun laut Asklepios die Aktenführung neu geordnet.

Versagt hat nach Kimmigs Auffassung vor allem die Prüfungskommission der Ärztekammer, die 2014 im Auftrag der Gesundheitsbehörde die Strahlentherapie in St. Georg inspizierte: „Die Aussagen des Berichts stimmen einfach nicht“, sagt der Mediziner. Die Kommission habe dabei nicht nur den falschen Vorwurf medizinisch nicht gerechtfertigter Bestrahlungen erhoben, sondern auch keine bindenden Auflagen erteilt, das vorgefundene Dokumentations-Chaos abzustellen.

Pikant daran: Der damalige Chef der Kommission verhandelte noch während des Prüfungszeitraums mit der Leitung des AK St. Georg über eine Führungsposition in der Strahlentherapie, wurde aber schließlich abgelehnt. Die Gesundheitsbehörde, die von dieser Bewerbung nicht informiert wurde, spricht von einem „inakzeptablen Interessenkonflikt“.

Doch Prüfer-Storcks will „nicht darüber spekulieren“, ob und wie dieser sich in dem Testat niedergeschlagen habe. Wichtiger sei es, solche Konstellationen in Zukunft auszuschließen. Kimmig wird da deutlicher: „Wo es so einen Interessenkonflikt gibt, ist die Handlungsfreiheit nicht mehr gegeben.“