ANBADEN IM PRINZENBAD
: Immer etwas kaputt

Irgendwas hat das Prinzenbad auch mit Familie zu tun

Warum ist es im Prinzenbad so schön? Jedes Jahr frage ich mich das am Vortag des 1. Mai, wenn wir im Morgengrauen an den grünen Gitterstäben des Prinzenbads rütteln. Ist es die Aussicht auf die grüne Oase mit glitzernden Wasserflächen im Inferno der Großstadt? Ist es das Ritual, den Verfall sozialer Dienstleistungen zu beklagen?

Irgendetwas ist immer kaputt zum Saisonstart. Mal ist ein Becken gesperrt, weil sich Bakterien in den Bassins tummeln, mal, weil die Kacheln den Frost nicht überlebt haben. „Wasser haben sie offenbar dieses Jahr“, lästert einer in der Traube der Stammgäste vor dem Eingang. Punkt sieben schließt ein Wärter das Tor auf, alle drängeln zu den Umkleiden, wollen zuerst im Wasser sein. Ausnahmezustand Anbaden: Wie Schulkinder springen wir einfach über die silbernen Drehkreuze, die den Dienst versagen. Wie Seehunde stürzen wir uns in die gechlorten Fluten.

„Wo sind denn die Ablagen?“, schimpft der weißhaarige Ephebe vierzig Bahnen später im Duschraum. Wie ein Wiesel wechselt er zwischen einem heißen und einem kalten Strahl, schüttelt sich wie ein Pudel die Haare und wirft die Beine in die Luft wie bei der Generalprobe für den „Nussknacker“. Nicht mal die Seife kann man mehr ablegen. „Wir sollen euch vorwarnen“, beschwichtigen Daggi und Matze, die Pächter des kleinen Cafés, als sie mir auf der windigen Terrasse den Begrüßungskaffee reichen, „nächste Woche gibt’s neue, vernickelt. Wie bist du über den Winter gekommen ohne uns?“ Irgendwas hat das Prinzenbad auch mit Familie zu tun.

Beim Abschied sitzt wieder die kasachische Zeitungsverkäuferin auf ihrem wackligen Klappstuhl vor dem Eingang. Auf der Gitschiner ziehen Mai-Demo-Touris Richtung Kotti. „Scheene Tach. G’sundheit!“ wünscht mir die alte Frau lautstark. Als ich ihr das Blatt aus der Hand nehme, ballt sie sie zu einer dürren Faust.

INGO AREND