DEUTSCHE KOCHKUNST
: Der Vordrängler

Der Mann ist hochnäsig, eingebildet, ist ein Schwätzer

Es ist Samstag, ich bin im Tiergarten, im Schleusenkrug, die Frühlingssonne beschwingt die noch winterdicken Spatzen, ein Zitronenfalter flattert vergnügt durch die Luft, die Menschenschlange vor der Getränkeausgabe ist lang. Ich hole mir ein paar ausliegende Zeitungen, reihe mich in die Wartenden ein und beginne zu lesen. Ein Mann stellt sich mit seiner Begleiterin neben mich. Sie begutachten die auf einer Tafel mit Kreide aufgeschriebenen Gerichte. Der Mann ist Anfang 50, die Haare sind nach hinten gegelt, er ist frisch rasiert, seine schwarzen Lederschuhe glänzen blitzsauber poliert. Der Mann erklärt seiner offensichtlich amerikanischen Begleiterin auf Englisch die Gerichte und referiert snobistisch über die Vor- und Nachteile deutscher Kochkunst. Während er dies tut, drängelt er sich mit seiner Begleiterin vor mich in die Schlange. Der Mann ist hochnäsig, eingebildet, ist ein Schwätzer: Ich kann ihn nicht leiden und drängle zurück. Plötzlich dreht er sich zu mir um und fragt mich mit affektierter Stimme: „Sind Sie ein Vordrängler? Denn wir standen vor Ihnen in der Schlange. Ich kenne Menschen, die Vordrängler sind. Und Sie, vermute ich, sind ein Vordrängler!“

„Nein“, antworte ich. „Ich bin kein Vordrängler. Aber wenn es Ihnen so wichtig ist, vor mir zu stehen, überlasse ich Ihnen gerne meinen Platz.“ Der Mann nickt selbstzufrieden und wendet sich mit überheblicher Pose wieder seiner Begleiterin zu. Auf Englisch erläutert er ihr, dass er gerade einen Vordrängler zurechtgewiesen habe. Jetzt bin ich sauer. Nachdem der Mann und seine Begleiterin ihre Getränke und Speisen bekommen haben, klopfe ich ihm auf die Schulter und sage: „Entschuldigen Sie, aber sind Sie ein Arschloch? Wissen Sie, ich kenne Menschen, die Arschlöcher sind. Und Sie, vermute ich, sind ein Arschloch!“ Während der Mann mich fassungslos anstarrt, bestelle ich mir einen Kaffee. ALEM GRABOVAC