LESERINNENBRIEFE
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Mit Liebe zum Detail geschrieben

■ betr.: „Kunstkacke im Quadrat“, taz vom 28. 4. 15

Höchstes Lob für den Artikel über die Gruppe Hawkwind anlässlich des Erscheinens des Boxsets „This Is Your Captain Speaking …“! Toll recherchiert und mit Liebe zum Detail geschrieben. Ich habe mich sehr darüber gefreut, diese Review über eine solche Gruppe, die innerhalb des mit Kurzlebigkeiten übersäten Rock-Pop-Sektors über Jahrzehnte für eine veritable „Underground“-Haltung stand und steht, und die ich mit großem Spaß immer wieder live erleben durfte, zu finden. Essenzielles und ins Mark Treffendes wurde alles erwähnt! Wenn man wollte, hätte man noch erwähnen können, dass sich immer wieder Seitenableger des Gesamtgruppenkonzepts wie Hawklords oder Space Ritual bildeten, oder dass für das Album „Levitation“ auch mal Promidrummer Ginger Baker (Cream) einstieg, oder dass man in den 90ern eine im Kern angelegte Ambientrichtung für eine Zeit lang verstärkte. Oder, oder … geschenkt. Doch einen Lapsus muss ich anmerken: Der Leader-of-the-Psych-Pack, Dave Brock, befindet sich auf dem Foto nicht, wie in der Bildunterschrift zu lesen, „ganz außen rechts“, sondern in der Mitte (lachend mit Schnauzbart, Totenkopf-Shirt) … o.k.? CHRIZZ B. REUER, Köln

Apolitisch, asexuell und überhaupt

■ betr.: „Beleidige nicht meine Generation“, taz vom 30. 4. 15

Das war jetzt Satire, oder? Die Revolution frisst ihre Kinder? Wie das? Eltern fressen ihre Kinder und umgekehrt. Menschen fressen Menschen. Schon immer. Überall. Aber inwiefern soll das ein hervorstechender Begleitumstand von Revolutionen und ein Argument gegen sie sein? Dahin gehen, wo es wehtut, ohne jemandem wehzutun? Ist damit dieses neutestamentarische Linke-Wange-Syndrom gemeint, oder ist das schon Masochismus? Öffentliche Plätze besetzen, Unterschriften sammeln, Graffiti politisieren? Hm, da machen sich Eliten und Entscheidungsträger vor Angst bestimmt in die Hose. Echte Demokraten? Echte Demokratie, ohne aus Überzeugung wählen zu gehen? Echt jetzt? Aber egal: Es bleibt sowieso bei der konstitutionellen Demokratie. Basta! Allerdings … wenn, statt das Volk mit Wahlen zu behelligen, in Zukunft die Abgeordneten im postolympischen Dreikampf aus Torwandschießen, Lobbyistentragen und Bikinikontest ermittelt würden … also darüber ließe sich reden.

Demokratie, Selbstbestimmung, Vielfalt: Die gibt’s, wenn überhaupt, nur so lange zum Nulltarif, solange wir nicht lästig werden und mit unserem unbändigen Spaß an der Freud zum Sand im Getriebe. Und wenn man sie uns nicht mehr lassen will, können wir ja immer noch Räucherstäbchen anzünden und meditieren. Absolute Wahrheiten, geschlossene Weltbilder, Ideologien? Okay, aber wer an die glaubt, ist für den gesunden Menschenverstand eh verloren. Ismen die Allgemeingültigkeit absprechen? Gleichfalls eine wohlfeile Idee. Und stattdessen was? Apolitisch sein, asexuell und überhaupt: Rosinen picken? Wie hab ich mir das vorzustellen? Viele, viele Rosinen bilden einen Meta-Ismus? Das politische Spektrum jenseits von links und rechts sein? Also linkser und rechtser? Linkisch und selbstgerecht?

Ein Banker, der Yoga macht, abends persisch isst und Brecht doch nicht so übel findet? Ja, soll der sich jetzt auch noch gut fühlen? Ausgeglichen in seiner Mitte ruhend, Zitate speien und einmal pro Woche auf rotes Fleisch verzichten? Er wird hinter den dicken Scheiben seines Glaspalastes trotzdem nach denselben menschenverachtenden Maximen handeln, die tagtäglich Menschen ins Elend treiben.

Doch wie auch immer … Uns andere, lasst uns tanzen, singen, feiern und lachen! Und wer in keckem Übermut sein subversives Treiben auf den nächsten Level heben will, der mag dann gar den Klimawandel wegkiffen und das Elend wegficken. So, und jetzt werde ich mich mal richtig empören und schlafen gehen. Mit geschwellter Brust. Ich. Oder wir, falls noch jemand mitkommt. JÜRGEN GÜLS, Aachen

Elfmeterschießen auf Britisch?

■ betr.: „Englische Wochen beim FC Bayern“, 30. 4. 15

Ich frage euch, ob ich als Mensch aus England die taz wegen rassistischer Beleidigung oder nur wegen Beleidigung anzeigen soll. Auf britische Art sollen die Bayern alle Elfmeter verschossen haben? Heißt das, dass Schotten, Waliser, Nordirländer und ebenfalls Engländer zu blöd sind, einen Elfmeter zu schießen? Da muss ich als Mensch von den Britischen Inseln überlegen, warum die Briten und ich dafür herhalten müssen, dass die Bayern (übrigens nicht unbedingt alle deutschgebürtig, aber keiner britisch) danebengeschossen haben. Bin gespannt auf eure Antwort. BOB FREETH, Berlin

Worte wie Arsendosen

■ betr.: „Stellt euch nicht so an!“, taz vom 24. 4. 15

Herr Feddersen scheint sich Stück für Stück von einer emanzipatorischen Perspektive zu entfernen. Nun bemüht er mit „Opferismus“ sogar ein Vokabular, das – gewollt oder ungewollt – sehr nah am rechten Kampfbegriff „Genderismus“ liegt. Was er aber auch bemerkenswerterweise schafft, ist, sämtliche wissenschaftliche Beschäftigung mit den Themen Sprachverwendung, Wirkmächtigkeit von Sprache oder auch Analysen über die Funktionsweisen von Homophobie, Rassismus etc. als nicht existent zu behandeln. Wie sonst käme er darauf, die homophobe Motivation zu bezweifeln, die hinter einer Verweigerung schwuler Adoptionsrechte steckt? Glücklicherweise gibt es Menschen, die einen größeren, auch historischen Wirkkreis haben als Herr Feddersen: „Worte können sein wie winzige Arsendosen. Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ (Victor Klemperer) SILKE BUSCH, Berlin