Völkerverständigung im Hörsaal

INTEGRATION An der Universität Bremen können Geflüchtete als Gasthörer Veranstaltungen besuchen. Bremer Studierende sollen ihnen als Mentoren helfen, sich auf dem Campus zurechtzufinden

VON VANESSA REIBER

Hussam Shalabi lebt seit sechs Monaten in Deutschland und wartet auf die Entscheidung seines Asylantrages. Der 32-jährige Ägypter hat in seiner Heimat „Informationssysteme“ studiert und als Netzwerktechniker gearbeitet. Im laufenden Semester nimmt er an einem Projekt namens „IN-Touch“ der Universität Bremen teil und besucht Veranstaltungen als Gasthörer.

In Leben gerufen hat das Projekt Moussa Dieng. Ihm war während seiner Zeit als Leiter eines Übergangswohnheims in der Ludwig-Quidde-Straße in Bremen Hemelingen aufgefallen, dass viele der Bewohner einen akademischen Hintergrund haben. „Unter den Heimbewohnern, besonders unter den Syrern, sind viele hochqualifizierte Personen. Ich finde es sehr schade, wenn diese ihr Potenzial und ihre Kompetenzen in den Heimen nicht nutzen können“, sagt Dieng.

Unter dem Motto „Get in touch with the University Bremen“ betreut Dieng gemeinsam mit Jens Kemper vom International Office der Universität Bremen seit dem Sommersemester 2014 das Programm. Die Teilnehmer können als Gasthörer verschiedene Lehrveranstaltungen besuchen und so einen Einblick in das Universitätswesen erlangen.

Im aktuellen Semester wird das Programm durch ein Mentorenprogramm ergänzt. Studierende der Universität fundieren als Mentoren für 18 der insgesamt 30 IN-Touch-Teilnehmer. „Viele der Teilnehmer aus dem letzten Semester haben sich in den Vorlesungen verloren gefühlt und hatten nicht den Mut, sich mit ihren Problemen an das International Office zu wenden“, sagt Kemper. Ihre Mentoren kennen sich an der Hochschule gut aus und können ihnen helfen, sich zurechtzufinden. „Außerdem kommen sie so leichter mit den deutschen Studierenden in Kontakt“, ergänzt Dieng.

Eine der neuen Mentoren ist Katharina Klee. Für sie war der Kontakt zu anderen Kulturen ein wichtiges Argument, um sich im „IN-Touch-Projekt“ zu engagieren. „Es ist toll, verschiedene Menschen aus anderen Kulturen kennenzulernen. Ich stelle es mir schwierig vor, sich an der Uni zu orientieren, zumal es die Sprachbarriere gibt“, sagt Klee. Die 22-Jährige freut sich auf die neue Herausforderung und hofft, dass sich die Teilnehmer an der Universität willkommen fühlen.

Der Ägypter Shalabi möchte die englischsprachigen Veranstaltungen „Communication Networks“ und „Wireless Communication“ besuchen. „Ich bin mir unsicher, wo meine Veranstaltungsräume sind und wie ich mich für die Veranstaltungen eintrage“, sagt er. Er hofft, dass der Mentor ihm dabei helfen kann. Außerdem will er sein Deutsch verbessern.

Genau dafür wurde inzwischen auch ein IN-Touch-Deutschkurs ins Leben gerufen, angeboten von einem Lehrer des Bremer Hermann-Böse-Gymnasiums. „Ein Deutschkurs war ein Wunsch der Teilnehmer aus dem letzten Durchgang“, sagt Dieng. Wer später regulär an einer deutschen Universität studieren möchte, braucht das Sprachlevel C1. Das Problem: „Es gibt viel zu wenig Deutschkurse für Asylbewerber“, beklagt Dieng. „Für jemanden, dessen Muttersprache Arabisch ist, bringen zweimal die Woche eineinhalb Stunden Deutschkurs nicht viel, da er lernen muss, von links nach rechts, anstatt von rechts nach links zu schreiben.“

Am Ende des Semesters erhalten die IN-Touch-Teilnehmer ein Zertifikat für die erfolgreiche Teilnahme an den Veranstaltungen. Dieses soll sie zur Teilnahme motivieren und kann späteren Bewerbungen beigelegt werden. Jens Kemper ist gespannt, wie vielen der 30 Teilnehmer am Ende das Zertifikat ausgestellt wird. „Das wirklich Tolle an dem Projekt ist, dass wir quasi aus dem Nichts etwas erschaffen haben, das auf einmal eine Substanz bekommt“, sagt Kemper. „Damit haben wir zu Beginn nicht unbedingt gerechnet.“