LESERINNENBRIEFE
: Glaubensbekenntnis oder Kälteschutz

DAS KOPFTUCH Für viele muslimische Frauen gehört das Tuch zu ihrer Identität. In einem Gespräch berichteten vier Frauen über Opferrollen, „gute“ Ausländerinnen und die Emanzipation durch das Verschleiern. Was taz-LeserInnen dazu meinen

Sich bestätigen

■ betr.: „Ohne Kopftuch ist es kalt um die Ohren“, taz vom 24. 4. 15

Wäre es nicht spannender gewesen, diese Frauen mit muslimischen Frauen ins Gespräch zu bringen, die das Kopftuch bewusst abgelegt haben oder vorhaben, es abzulegen? So konnten wir nur lesen, wie die vier Frauen sich weitgehend gegenseitig bestätigen.

PATRICK BRAUNS, Konstanz

Enge Religion

■ betr.: „Ohne Kopftuch ist es kalt um die Ohren“, taz vom 24. 4. 15

Wie aus den Antworten der Interviewten hervorgeht, ist das Kopftuch für sie nicht Ausdruck modischen Geschmacks (wie ein Minirock) oder gar emanzipatorisch-individueller Entscheidung (was zu bedecken oder zu enthüllen ist, ist ja vorgeschrieben), es ist vielmehr ein demonstratives Zeichen für, ein Bekenntnis zu einer sehr engen Religion (konservative Auslegung des Islam) und dadurch bedingten Weltanschauung. Das Frauenbild, das dieser zugrunde liegt, zu hinterfragen heißt nicht, Frauen auf ihr Kopftuchtragen zu reduzieren, die Frage ist vielmehr legitim. Wer seine Weltanschauung auf dem oder um den Kopf trägt und sie öffentlich zeigt, muss sich schon fragen lassen, wie diese aussieht. Genau diese Fragestellung fehlt mir im „Kopftuchinterview“! LUCIA EHMSEN, Bielefeld

Irrationale Debatte

■ betr.: „Ohne Kopftuch ist es kalt um die Ohren“, taz vom 24. 4. 15

Ich glaube den jungen Frauen, dass sehr viel mehr Mut dazu gehört, sich für das Tragen des Kopftuches zu entscheiden, als dagegen. Sowieso frage ich mich schon seit Längerem, warum diese Kopftuchdebatte überhaupt so extensiv geführt wird. Immerhin garantiert unser Grundgesetz jedem die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit sowie Religionsfreiheit. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Kinder in der Schule ein Problem damit hätten, wenn eine Lehrerin mit Kopftuch vor ihnen stünde, schließlich kann sich jeder Mensch so kleiden, wie es ihm gefällt, solange es nicht gegen die guten Sitten verstößt, was hier ja eindeutig nicht der Fall ist. Und selbst wenn die Schüler ein Problem mit einer Lehrerin hätten allein nur deshalb, weil diese ein Kopftuch trägt, so wären diese Vorbehalte der Kinder und Jugendlichen doch auch nur von der Welt der erwachsenen Vorbilder induziert.

Für mich dient diese leidige Kopftuchdebatte lediglich dazu, eine bestimmte Gruppe von Menschen auszugrenzen und an den Pranger zu stellen, sie ist in meinen Augen völlig irrational. Ich denke, ich werde den World Hijab Day künftig dazu nutzen, mich als Christin mit den unterdrückten Musliminnen dieser Welt zu solidarisieren. MICHAELA DIEROLF, Wimsheim

Keine andere Wahl

■ betr.: „Ohne Kopftuch ist es kalt um die Ohren“, taz vom 24. 4. 15

Tatsache ist, dass die überwiegende Anzahl der Frauen, die ein Kopftuch tragen, keine andere Wahl haben. Das Tuch kann man eben nicht einfach als einen „modischen Aspekt“ betrachten, wie es eine der Frauen gerne hätte, sondern es symbolisiert auch die Unterdrückung von Frauen und ein mittelalterliches Frauenbild. Nun sieht man den Frauen ja nicht an, ob sie sich dem Diktat freiwillig unterwerfen oder sich dem Druck der Familie beugen. Zumindest vermittelt es ein konservatives Religionsverständnis, und aus dem Interview geht ja auch hervor, dass die meisten Frauen aus sehr streng religiösen Familien stammen.

Widersprüchlich finde ich auch, dass die Frauen auf der einen Seite modisch und schön sein, also auch auffallen wollen, andererseits meinen, sich unter einem Kopftuch verstecken zu müssen. Und warum dürfen Männer ihr Haar so offen zur Schau stellen?

Es ist schon bezeichnend, was für irrationale Vorschriften die ausnahmslos männlichen Verfasser von religiösen Schriften sich haben einfallen lassen, um das weibliche Geschlecht unter Kontrolle zu halten.

MARGRET GERDES, Hannover

Erzkonservativ

■ betr.: „Nur eine Verpackung, mehr nicht“, taz.de vom 25. 4. 15

Natürlich kann jede rumlaufen, wie sie will, und solche Anfeindungen, wie im Artikel dargestellt, gehen überhaupt gar nicht. Aber es steht jedem auch frei, aus der Art, wie sich jemand kleidet, auf dessen Person zu schließen und sich entsprechend zu verhalten. Unsere Kleidung ist eben eine Art, uns unserem Umfeld zu präsentieren und uns darzustellen. Ob ich jetzt rumlaufe wie ein Amish oder aussehe wie aus dem H&M-Katalog oder cosplayend durch die Stadt renne, es wäre töricht zu erwarten, dass Leute mich nicht entsprechend behandeln. Und abgesehen von Zeynep Mutlu-Iskender drücken auf dem Bild oben eben alle jungen Frauen aus: „Ich bin erzkonservativ und tiefreligiös.“ Das mag so sein oder auch nicht. Aber sie drücken es aus. CHRISTIAN, taz.de

Respektieren

■ betr.: „Nur eine Verpackung, mehr nicht“, taz.de vom 25. 4. 15

Ich bin ganz einfach dafür, dass jede Frau sich selbst dafür oder dagegen entscheidet. Das Wichtigste erscheint mir aber, dass ihre Familien und der Kulturkreis, in dem sie leben, das auch voll und ganz respektiert: sowohl ein Ja als auch ein Nein.

Wer sich für die persönliche Entscheidung für das Kopftuchtragen scheel anschauen lassen muss, hat es ebenso schwer im Umgang damit wie ein junges Mädchen in einer Schulklasse von Kopftuchdominierten, die die Einzelentscheidung gegen das Tragen eines Kopftuchs nicht respektieren und sie dafür mobben.

NOEVIL, taz.de

Sehr schwierig

■ betr.: „Nur eine Verpackung, mehr nicht“, taz.de vom 25. 4. 15

Ich finde es wirklich sehr schwierig, wie neuerdings alle möglichen Symbole, die patriarchalen Strukturen entstammen, zu etwas „Feministischem“ umgedeutet werden sollen. Seien es Kopftücher oder meinetwegen Beyonces, die ihren halbnackten Po in die Kamera halten. Feminismus ist heutzutage ja ungefähr alles, wenn man nur will. Relativierung in Reinform. Jede soll bitte schön machen, was sie will. Aber ich sehe die Emanzipation nicht im Kopftuch (oder anderen Äußerlichkeiten), sondern im Handeln und Denken. Insofern verstehe ich nicht, wieso diesem Stück Stoff derzeit so viel selbst ermächtigende Bedeutung zugesprochen wird, wenn es doch auf ganz andere Sachen ankommt. SCHNEEWITTCHEN, taz.de

Eingeschränkt

■ betr.: „Nur eine Verpackung, mehr nicht“, taz.de vom 25. 4. 15

Das Interview zeigt sehr schön auf, dass wir es mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun haben. Das Problem besteht darin, dass Frauen diskriminiert und ausgeschlossen werden, wenn sie das Kopftuch tragen. Dahinter stehen rassistische Zuschreibungen, bei denen die Mehrheitsgesellschaft definiert, wie sich die Frauen zu verhalten haben, und missliebiges Verhalten (das Kopftuchtragen) bestraft wird. Es handelt sich hier also um Verhaltensnormierung oder auch Zwang durch die Gesellschaft. Individuelle Chancen werden so vorenthalten, und Handlungsspielräume sowie gesellschaftliche Partizipation von Musliminnen werden auf diese Weise eingeschränkt. RUDEBOY, taz.de