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KUNST

schaut sich in den Galerien von Berlin um

JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Ein gefülltes Milchkännchen steht mitten in einer schwarzen Hügellandschaft aus Stoffbahnen, die sich über den Boden der daadgalerie erstreckt. Ich stelle mir vor, wie das Kännchen umkippt und die Stoffbahnen zu einer gewaltigen Milchlache werden; rein hypothetisch, versteht sich. Das so minimalistische wie surrealistische Stillleben hat Jirí Kovanda aus Stoffen der vorherigen Ausstellung gefertigt. Überhaupt arbeitet er in erster Linie mit Vorgefundenem. Im hinteren Galerieraum stoße ich auf eine Zusammenstellung von Möbeln aus dem Galerielager, eine Installation, die wirkt, als sei es ein tatsächlich benutzbares Büro. Das vermeintliche Arbeitsambiente wird mit alltäglichen Gegenständen gebrochen: einem Würstchenglas und einem verwaisten Handschuh auf einem Bücherbord, daneben eine Rolle pinkfarbener Luftpolsterfolie. Es geht um offene Assoziationen, die keiner festen Interpretation gehorchen wollen. (Zimmerstr. 90, bis 23. 5., Mo–Sa, 11–18 Uhr; Performance am 2. 5., 16 Uhr)

Minimal sind auch Kovandas Aktionen im öffentlichen Raum, beiläufige Gesten, die sich kaum von realen unterscheiden. Mit diesen Performances wurde er in den 1970er Jahren zum international bekannten Konzeptkunstpionier. Beispielsweise drehte Kovanda sich abrupt auf einer Rolltreppe um und starrte der Person hinter sich in die Augen – oder er rempelte einen Fremden auf der Straße an. Seine unerwarteten Kommunikationsversuche waren politisch aufgeladen: Sie loteten diskret die Handlungsspielräume des Individuums im ideologischen Kontext der sowjetisch beherrschten Tschechoslowakei aus. Im Tschechischen Zentrum, das derzeit Kovandas frühe Performances zeigt, haben die Kuratoren unter jedes Werk Fotokopien vergleichbarer Arbeiten anderer Konzeptkünstler gehängt – offensichtlich auch, um zu zeigen, wie die Konzeptkunst international vernetzt war und ist. Das ist spannend, schwächt aber die politische Lesbarkeit ab. (bis 8. 5., Wilhelmstr. 44, Eingang Mohrenstr., Di–Sa, 14–18 Uhr; zum Gallery Weekend vom 1.–3. 5. tgl. 14–18 Uhr).

Ein Bezug zum urbanen Raum steckt auch in Friedemann Heckels Arbeiten in der Galerie Thomas Fischer. Hier überraschen großformatige Arbeiten, die sich zwischen Bild und Schrift bewegen und unterschwellig mit Graffiti-Ästhetik flirten. Dafür setzt der Künstler handgefärbte Papiere in dunklen Farbtönen ein, vor die er Glasscheiben legt, deren eingravierter Zeichensalat nur aus nächster Nähe erkennbar ist. (bis 30. 5., Potsdamer Str. 77–87, Do–Sa, 11–18 Uhr; Book Launch am 2. 5. um 17 Uhr bei Something Fantastic, Leipziger Str. 61)

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