PREMIERE IM TIPI
: Drei Wünsche

So wie das Tipi stellen sich Touristen die Roaring Twenties vor

„Oh, wie toll“, stöhnt Micha, als ich ihm eröffne, dass wir heute ins Tipi gehen. Georgette Dee hat Premiere. „Die habe ich seit 15 Jahren nicht mehr gesehen“, freut er sich. Da hat er mir was voraus. Ich habe die legendäre Diseuse noch nie gesehen, dafür die letzten Wochen zu viel postmigrantisches Dokumentartheater. Die zwei Freikarten kamen zur rechten Zeit: Endlich mal wieder Entertainment! Es dämmert, während wir Richtung Tiergarten radeln.

So wie das Tipi ist, stellen sich Berlin-Touristen wohl die Roaring Twenties vor: rechts das steinerne Kanzleramt, gegenüber das zierliche Zelt der frivolen Muse. Lichterketten, Plüsch, vereinzelt graublonde Männer mit falschem Diadem um den Hals. Zur Begrüßung gibt’s Küsschen von der atemberaubend langbeinigen und perfekt goldgelockten Marlene, den Micha noch unter anderem Vornamen kennt. Im Saal sitzen mittelalte Berliner an Tischchen mit flackernden Kerzchen. Es liegt was in der Luft.

Der ausgelassenen Damenrunde vor uns ist die rosafarbene Rhabarberschorle schon zu Kopf gestiegen. Welcome to Cabaret! Wo bleibt die Diva? Micha ist entzückt, als Georgette endlich auftritt, den türkisen Schal ums schwarzsamtene Abendkleid. „Beim letzten Mal hatte sie einen rosa Schal“, erinnert er sich. Georgette ist noch ganz aufgeregt. Vor ein paar Tagen ist ihr aus einer alten Wärmflasche vom Flohmarkt ein geiler Dschinn erschienen und wollte ihr drei Wünsche erfüllen. Sie wusste aber nicht, welche. Deshalb sind sie erst mal auf einem fliegenden Teppich um die Welt geflogen, aber als Elefanten zurückgekommen. Deswegen ist Georgette so traurig und muss pausenlos Gin trinken. „Wünsche sind nur schön, wenn sie unerfüllt bleiben“, seufzt sie und wirft die Mähne nach hinten. „War das toll“, freut sich Micha, als wir nach Hause radeln; wunschlos glücklich. INGO AREND