Die Sonne der Nacht

FILM Die zwölfte „Nachtschicht“ (20.15 Uhr, ZDF) lebt vor allem von einem: Armin Rohde

VON JENS MÜLLER

Kriminalhauptkommissar Erich Bo Erichsen steht im Treppenhaus und fasst die Lage zusammen: „Links hat ’ne durchgeknallte Punkerin mit ’ner Knarre rumgeballert. Rechts ha’m wir ’n Mordfall. Rentner mit Kopfschuss hingerichtet.“

Es geht deftig zu in der zwölften „Nachtschicht“. Minh-Khai Phan-Thi und Armin Rohde sind inzwischen die Einzigen aus der Urbesetzung, die noch dabei sind. Autor und Regisseur Lars Becker ausgenommen.

Und man tut den anderen Schauspielern kein großes Unrecht, wenn man sagt: Armin Rohde ist der Einzige, der nicht ersetzbar wäre. Dass der in der (ehemaligen) Zechenstadt Gladbeck Geborene in allen seinen Rollen – ob vor mehr als zwei Jahrzehnten als „Bierchen“ mit Pornobalken oder, gerade im März, als Bürgermeister mit Burn-out – den geborenen Proletarier gibt und diesen Typus in relativ engen Grenzen variiert – kultiviert –, ist der Kern seiner großen Schauspielkunst. Wer hier von „Schublade“ spricht, hat etwas ganz grundsätzlich nicht verstanden. Rohde, so hat es ein Kollege jüngst auf den Punkt gebracht, gehöre „zu den sehr wenigen Menschen, die auch ,Pipi machen‘ so aussprechen können, als sagten sie ,Guten Abend‘“.

Apropos „Pipi“: „Pissnelke“ lautet da so eine deftige Anrede in der neuen „Nachtschicht“, „Nazischlampe“ eine andere. Wobei die Nazischlampe mit der durchgeknallten Punkerin personenidentisch ist und eigentlich Sharronda heißt (und von der „Kriegerin“ Alina Levshin gespielt wird). Nachdem eine Radiomoderatorin (Katrin Bauerfeind) stellvertretend für Sharrondas (Ex-)Freund live mit ihr Schluss gemacht hatte, hat sie nicht nur mit ’ner Knarre rumgeballert, sondern ist gleich darauf in den „Tulpenkönig“ gerannt, wo ihr gekündigt worden war, weil sie in die Kasse gegriffen hatte, angeblich, um ihre ehemalige Chefin, die gerade nur höchstens 300 Euro in der Kasse hat, mit jener Knarre zu zwingen, bei der Apotheke oder beim Backshop oder sonst wo anzurufen und sich das Geld zu leihen, von dem Sharronda meint, dass es ihr noch zusteht. Alles klar? Juristen streiten bei so einem Sachverhalt, ob es sich um schweren Raub oder schwere räuberische Erpressung handelt. Hier ist hingegen von Hausfriedensbruch und Ruhestörung die Rede – bis Erich Bo Erichsen schließlich subsumiert: „Sie hat den Betrieb bestreikt, weil sie ohne Lohnfortzahlung rausgeflogen ist.“

Der „Nachtschicht“-Kosmos ist eine fiktive Parallelwelt, und Armin Rohde ist das Zentrum, die Sonne, um die sich alles dreht. Aber die Formulierung wird der linearen Struktur der aktuellen Folge nicht gerecht. Nacheinander treten denkwürdige Gestalten auf: Hans Jochen Wagner als quotengeiler Radiochef; Margarita Broich als abgebrühte Mutter Sharrondas und ihre nichtsnutzigen Brüder Dexter und Gordon, die nicht auf Blechblasinstrumente stehen, sondern auf Knarren, weshalb sie sogar aus ihrem Naziverein rausgeflogen sind und der Naziarzt ohne Approbation sie nicht behandeln will.

Und wo ist der Zusammenhang? Es gibt ihn, aber er ist total egal. Lars Beckers zwölfte „Nachtschicht“ funktioniert als lustige Nummernrevue mit einem bestens aufgelegten Conférencier: Armin Rohde.