Im Widerstand

GORLEBEN-HYMNE 1976 hat der Liedermacher Fred Ape mit „Festung Gorleben“ den Protestsong der Anti-Atom-Bewegung im Wendland geschrieben. Noch heute spielt er jedes Jahr dort – doch seine Heimat bleibt das Ruhrgebiet

Nach vielen langen Stunden die ich in meinem Wagen saßBemerkte ich den Stacheldraht am WegesrandDer Nebel der mich lange Zeit begleitet hat, war wegMein Magen leer und ich sehnte mich nach einem Bett

Zu meinem Schrecken sah ich nun ein Schild am Wege steh’nDarauf war ein Totenkopf mehr konnte ich nicht seh’nDoch schon kam mit grellem blauen Licht ein Wagen auf mich zuSie versperrten mit die Weiterfahrt stiegen aus und riefen mir zu

Willkommen auf der Festung von Gorleben Welch’ ein Freudentag in diesem Irrenhaus Sie werden den Besuch nicht überleben Was auch kommen mag, hier führt kein Weg mehr raus

Bevor ich weiter fragen konnte was das zu bedeuten habeSah ich ihre Haut im Gesicht ihre Augen und ihre Haarevon welcher Krankheit kann ein Mensch so zugerichtet seinich traute meinen Augen nicht wollte flieh’n und nur noch schrei’n

Doch die beiden brachten mich zu einer Stadt aus Beton und StahlRiesig große weiße Kästen, fensterlos und todesfahlDazwischen gingen Menschen, oder was von ihnen übrig warUnd jeder der noch sprechen konnte, rief mir zu wenn er mich sah

Willkommen auf der Festung von Gorleben...

Nun wurde mir mit Grauen klar, wo ich mich hier befandVor Jahren wurde ein Gebiet gesperrt, für die Armee in unser’m LandFortan durfte niemand mehr in diese Richtung fahr’nEs geriet in Vergessenheit so war wohl auch der Plan

Der Zufall bringt mich nun in diesen Teil der WeltWo jeder Mensch strahlenkrank, der Bestie zum Opfer fälltIch glaube es wird keine Rettung mehr für mich gebenDoch vielleicht kommt diese Warnung an kämpft um euer Leben

(Festung Gorleben © dt. Text Fred Ape 1976, Musik: Eagles – Hotel California; Felder, Henley, Frey)

AUS DORTMUND ANDREAS WYPUTTA

Fred Ape sitzt auf der Bank vor dem Haus seiner Wohngemeinschaft im Süden Dortmunds und lächelt: „Ich habe viele Leben“, sagt er. Der 62-Jährige hat Sozialarbeit studiert, ist Liedermacher, Kabarettist, einer der Programmchefs des Theaters „Cabaret Queue“ – und hat der Anti-Atom-Bewegung mit dem Song „Festung Gorleben“ eine Hymne geschenkt.

Gerade 23 war er da – und hatte das Wendland noch nie betreten. „Trotzdem war mir klar: Die Atompolitik ist eine riesige Sackgasse.“ Warum? Ape, an dessen Sofa jederzeit griffbereit eine Gitarre lehnt, lacht: „Ich war bei den Falken.“

Apes Vater arbeitete im Stahlwerk Phoenix West, das längst zum Industriedenkmal mit angeschlossenem Dienstleistungspark geworden ist – die riesigen, rostigen, noch immer unglaubliche Würde ausstrahlenden Hochöfen kann Ape von seinem Haus aus sehen. Die Mutter „hatte vier Kinder zu versorgen“ – da war der Weg zur Sozialistischen Jugend Deutschlands nicht weit.

„Ich bin mit denen ins Zeltlager gefahren, war auch Gruppenleiter“, erzählt Ape. Am Lagerfeuer habe er die „Jungs“ bewundert, die Gitarre spielen konnten – und auch bemerkt, wer sie noch bewunderte. Als Teenager lernte er dann selbst Gitarre, um die Mädchen zu beeindrucken.

Schimmernde Lichter

„Festung Gorleben“ spielte Ape zum ersten Mal öffentlich bei einem Festival in Dortmunds zentraler Reinoldikirche. Viele Hundert Leute waren da und applaudierten: „Da hatte ich Tränen in den Augen.“

Ape schrieb den Text nach der ersten großen Reise westwärts durch die Staaten auf die Musik des Songs „Hotel California“ von den Eagles. Die „Mystik“ des Stücks, das Symbol der schimmernden Lichter des erst als willkommene Rast erscheinenden, dann aber zum Albtraum werdenden Hotels habe er auf die Angst vor der Atomindustrie übertragen wollen, erklärt er. „Und wie recht wir hatten!“

Aus den USA zurück in der Bundesrepublik, schrieb sich Ape an der Dortmunder Fachhochschule für Sozialarbeit ein: „Das studierten damals alle“ – auch Klaus Beck und Peter Brinkmann. Zusammen mit dem Soundmann Klaus-Werner Wollnowski wurden sie zur Folk-Rock-Band Ape, Beck & Brinkmann, kurz ABB, machten „politische Songs für eine politisierte Gesellschaft“, wie Ape mit nicht geringem Stolz auf seiner Homepage schreibt.

Die Vier waren da, wo die Alternativbewegung protestierte: Ein ABB-Auftritt brachte Fred Ape auch nach Gorleben. „Startbahn“ oder „Auf der Flucht erschossen“ heißen Songs aus dieser Zeit, die fast alle von ihm geschrieben wurden. „Regenbogenland“ lasen viele als Hommage an die ersten AktivistInnen von Greenpeace, die seit 1971 gegen Walfang und Atomtests im Pazifik protestierten. Und „Rauchzeichen“ landete in Schulbüchern – in dem Stück greift Ape, den in den USA die Indianer fasziniert hatten, die Weissagung der Cree auf: „Wenn ihr den letzten Baum zerstört, dem letzten Fluss die Klarheit nehmt, werdet ihr erst dann einseh’n, dass ihr euer schönes Geld auf der Bank nicht essen könnt.“

Bekannt gemacht hat den Song die befreundete, aber ungleich erfolgreichere Gruppe Cochise, in der Alternativszene ähnlich wichtig wie Ton Steine Scherben: „Die waren eine richtige Rockband mit Schlagzeug“, erinnert sich Ape – und erst Cochise-Gitarrist Pit Budde habe mit der Rechteanmeldung dafür gesorgt, dass er an eine Karriere als Musiker glaubte: „Ich bekam einen Scheck von der Gema. Das war damals richtig viel Geld – und wäre es auch heute noch.“

Ape, Beck & Brinkmann zockten weiter, später zusammen mit Rudi Mika und Klaus Heidrich. Zwischen 1979 und 1987 spielten die Folker über 1.200 Mal live, also mindestens jeden dritten Tag. Danach war die Luft raus. „Der Zeitgeist wurde neoliberal. Immer mehr Leute dachten offenbar: Wir haben Arbeit, Geld – was soll der Protest“, meint Ape. Für ABB hatte das auch finanzielle Folgen: Die Konzerte brachten immer weniger Geld, von dem die mittlerweile sechs Musiker leben mussten.

Die Truppe löste sich auf. Klaus Beck wurde Fernsehjournalist und später Studioleiter beim WDR. Peter Brinkmann machte Jugendarbeit in Schwerte, leitete danach die Kleinkunstbühne „Hasper Hammer“ – und starb 1999 völlig unerwartet an Herzversagen: Der Song „Tschüss Pedda“ erzählt von der Trauer seiner Bandkollegen.

Weniger gepresst

Fred Ape aber blieb Musiker, spielte mit Ex-ABB-Mann Rudi Mika und bis 2002 – und seit 2010 wieder – mit dem Bochumer Comedian Guntmar Feuerstein. „Klar habe ich mich verändert“, findet Ape. Weniger gepresst, weniger schrill als in den Achtzigern klinge seine Stimme heute. Und unterhaltender, aber auch sarkastischer und „schwarzhumoriger“ sei er geworden.

Über seine Krisen – den frühen Tod seiner Frau Monika, die 2010 schon mit 56 starb, und den eigenen, hoffentlich überwundenen Krebs – habe ihn der Fußball hinweggerettet, glaubt Ape, der als Jugendlicher in der Westfalenauswahl im Tor stand. Fast jeden Tag war er auf dem Platz seines Vorortvereins FC Brünninghausen. Dort ist er Torwarttrainer, lässt sich noch heute zu Spielen aufstellen.

Geholfen hat ihm aber auch seine „Verwurzelung“ im Revier: In der Musik- und Kabarettszene an der Ruhr kennt Ape fast jeden – sein „Cabaret Queue“ in Dortmund-Hörde wirbt mit Künstlern wie Helge Schneider, Herbert Knebel, Fritz Eckenga oder dem „Ausbilder Schmidt“.

Noch immer steht Ape etwa 100 Mal im Jahr auf der Bühne, seine Protestsongs schreibt er immer noch selbst. Sein „Antikriegslied 2007“ etwa erinnert an die Opfer des „völlig sinnlosen Afghanistan-Einsatzes“ – auch auf deutscher Seite: „Der Rollstuhl wird sogar vom Bund gestellt“, heißt es in dem Lied.

Wer mit Ape politisch diskutiert, spürt Wut: Dass Europa dem Flüchtlingssterben im Mittelmeer tatenlos zusieht, kotzt ihn an. Ape ärgert sich wahnsinnig über das Freihandelsabkommen TTIP, über Umweltkatastrophen wie den Untergang der Ölplattform „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko vor fünf Jahren. Eigentlich, analysiert er, bleibe seit Jahrzehnten die Ungleichverteilung der Ressourcen das Problem – weltweit wie in Deutschland: „Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer.“ Seit einigen Jahren wählt Ape nicht mehr grün, sondern links.

Was er fürchtet, ist die institutionalisierte Vereinsamung vieler, sei es aus Scham wegen der eigenen Armut, sei es aus mangelndem Wissen oder aus Verblödung durchs TV – denn dann könne über die Menschen hinwegregiert werden. „In den Siebzigern haben wir bewusster gelebt“, findet Ape.

Er jedenfalls fährt immer noch jedes Jahr ins Wendland, wo er bei der „Kulturellen Landpartie“ gegen die Atomindustrie aufspielt . Und in Dortmund plant er mit anderen AktivistInnen aus Protest gegen die Neonazis eine Menschenkette. Die soll auf der alten Stadtmauer, dem Wall, die gesamte Innenstadt umspannen: „Wir wollen zeigen, dass Dortmund bunt ist – und eben nicht dieser braune Moloch aus dem Tatort.“