Klima der Einschüchterung

KINO Ein guatemaltekisches Filmfestival, das sich den Menschenrechten widmet, geht in Kreuzberg ins Exil – im Moviemento ist so kritisches Kino aus Zentralamerika zu sehen

Die Vergangenheit, der blutige Bürgerkrieg von 1960 bis 1996, liegt in Guatemala immer noch wie ein bleierner Mantel über der Gesellschaft. Aufarbeitung ist nicht erwünscht

VON KNUT HENKEL

Die Nachricht, dass der Film über die ehemalige Generalstaatsanwältin Claudia Paz y Paz in Guatemala-Stadt nicht laufen würde, war ein herber Schlag für Uli Stelzner. Der deutsche Dokumentarfilmer, der mit einer Handvoll Kollegen dort 2010 das Dokumentarfilmfestival „Erinnerung. Wahrheit. Gerechtigkeit“ ins Leben rief, will Filme zeigen, die sich mit der Vergangenheit und der schwierigen Gegenwart des Landes beschäftigen. In den vergangenen fünf Jahren hat das Festival mehr als 45.000 Zuschauer in die Kinosäle von Guatemala-Stadt gelockt.

Doch die sechste Auflage wird im Exil stattfinden. Anfeindungen, Zensur sowie die Angst der Akteure seien dafür in erster Linie verantwortlich, in zweiter die knappen Mittel, sagt der Filmemacher Sergio Valdés Pedroni bei einem Telefonat. Dessen Film „Elogio del Cine“, ein audiovisuelles Essay über das Kino und die Wirklichkeit in einem Land am Rande des Vergessens, wird nächste Woche am Dienstag die diesjährige Ausgabe des Festivals im Berliner Exil eröffnen; sie steht unter dem Titel „Kritisches Kino Zentralamerika“. Das Moviemento in Kreuzberg hat den Veranstaltern die Räumlichkeiten für eine Woche überlassen, um Filme zu zeigen, die es in Deutschland in aller Regel nicht zu sehen gibt und die zumindest teilweise in Guatemala nicht gezeigt werden können.

Bei einem Treffen in Berlin erläutert Uli Stelzner seinen Anspruch: „Möglichst schnell“ will er „zeigen, was an Dokumentarfilmen im Land oder auch außerhalb über Guatemala produziert wird. Das wird immer schwieriger, denn mögliche Protagonisten springen ab.“ Erst vor Kurzem musste ein Kollege ein Filmprojekt rund um die Müllkippe der guatemaltekischen Hauptstadt aufgeben, weil die, um die sich alles drehen sollte, aus Angst vor Repression ihre Zusage bei Drehbeginn zurückzogen.

Ein Klima der Einschüchterung herrsche in Guatemala, bestätigt auch Sergio Valdés Pedroni. „Der Staat beziehungsweise seine Institutionen haben die Hürden für das Festival immer höher gelegt. Im letzten Jahr durften Schüler, für die unsere Schulvorführungen gedacht sind, daran nicht teilnehmen. Die Erziehungsministerin hatte es untersagt“, sagt der Filmemacher.

Stein des Anstoßes war „La propuesta impuesta“ (in etwa: Der auferlegte Vorschlag), ein Film über die Widerstände gegen die Privatisierung des Bildungssystems. 2013 griffen Ana María Escobar und Erick Spanky, zwei junge Regisseure, zur Kamera und dokumentierten die Proteste und das Eingreifen der Polizei. „Die Bilder sind eindeutig“, sagt Escobar am Telefon. Gemeinsam mit Spanky hat sie eine kleine Produktionsfirma gegründet, und sie will weitermachen. Themen gibt es reichlich. Die beiden denken zum Beispiel darüber nach, den Widerstand von Dorfgemeinschaften gegen die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen festzuhalten.

Das sind brisante Themen in Guatemala wie in den Nachbarländern Mittelamerikas. Ein vergleichbares Festival, das sich wie „Erinnerung. Wahrheit. Gerechtigkeit“ explizit für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit starkmachen würde, gibt es nicht.

Die Vergangenheit, der blutige Bürgerkrieg von 1960 bis 1996, der fast 250.000 Menschenleben kostete, liegt in Guatemala immer noch wie ein bleierner Mantel über der Gesellschaft. Aufarbeitung ist nicht erwünscht.

Brisantes Material

Das ist nicht weiter überraschend, wenn man weiß, dass es historisches Material eines finnischen Filmemachers gibt, das den heutigen Präsidenten und Egeneral Otto Pérez Molina inmitten von Indigenen zeigt, die von der Armee ermordet wurden. Das Material hat Uli Stelzner erstmals in seinem Film über das guatemaltekische Polizeiarchiv, „La Isla“, verwandt. Der Dokumentarfilm markierte vor fünf Jahren den Beginn des Filmfestivals „Erinnerung. Wahrheit. Gerechtigkeit“.

Während Valdés Pedronis Film „Elogio del Cine“ im Mai auch in Guatemala zu sehen sein wird, wird „Burden of Peace“ (am 29. April und 3. Mai im Moviemento) in dem mittelamerikanischen Land vorerst nicht gezeigt. Der Film stellt die Arbeit der Generalstaatsanwältin Claudia Paz y Paz vor, die sich als engagierte Strafverfolgerin einen Namen machte, aber aufgrund immensen politischen Drucks ihr Büro vorzeitig räumen musste. Weil sie Angst vor Anschlägen auf ihre Angehörigen in Guatemala hat, hat sich die streitbare Juristin dazu entschlossen, den Film nicht zu präsentieren. Sie selbst lebt im Ausland, nachdem sie Anfeindungen und Anzeigen ausgesetzt war.

Juristen, Menschenrechtsaktivisten und engagierte Kulturschaffende haben es immer wieder mit Anzeigen zu tun. „Die sollen so mundtot gemacht werden“, sagt der Menschenrechtsanwalt Edgar Pérez. Er saß vergangenes Jahr bei einer Diskussion auf dem Podium und hofft, dass das 2016 wieder möglich sein wird.

■ Kritisches Kino Zentralamerika – Menschenrechtsfilmfestival im Exil vom 28. April bis 3. Mai im Moviemento Kino, Kottbusser Damm 22