IN DER DDR ERSCHIENENE SOWJETISCHE ROMANE WERDEN NEU ÜBERSETZT
: Einwestung

VON HELMUT HÖGE

Alle großen russischen bzw. sowjetischen Romane, die in der DDR erschienen – wunderbar übersetzt und mit kenntnisreichem Nachwort versehen – werden nun noch einmal veröffentlicht: von Westverlagen. Meist mit dem Zusatz „neu übersetzt“. Und sofort legten die Rezensenten los, die vorgeblich die alte DDR- und die brandneue BRD-Übersetzung gelesen haben und womöglich noch das russische Original, wobei sie darauf hinweisen, das dieses oder jenes Kapitel erst nach 1990 erscheinen durfte.

Dümmliche Hinweise

Diese Russlandexperten jedenfalls sind voll des Lobes über die neue Übersetzung, die sogar einen neuen Titel bekam. Wobei aus sagen wir Gogols „Mantel“ ein „Trenchcoat“ wurde. Oder wenigstens – wie bei Leo Tolstois „Anna Karenina“ ein anderes Cover her musste: Ein Farbfoto von einer Hollywoodschauspielerin mit tiefem Dekolleté. Zur Not tut es auch ein dümmlicher Hinweis über die im Westen erschienene Ausgabe eines Buches zum Beispiel von Iwan Bunin, der vor allem das Leben in den vorrevolutionären „Adelsnestern“ beschrieb und auch in der DDR gelesen wurde: Sie sei nun „brillant übersetzt“.

Demnächst ist bestimmt auch noch der sowjetischste aller russischen Schriftsteller, Andrej Platonow, dran, dessen letzte Romane in der DDR erst in der Wende beim Verlag Volk und Welt erschienen, der nach dreimaliger Privatisierung schließlich beim Weltverlag Random House landete, welcher 2013 mit dem Weltverlag Penguin Books fusionierte. Die Rechte an Platonows Werken sind wahrscheinlich irgendwo zwischendrin verloren gegangen. Hoffentlich.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass das alles Scheinübersetzungen sind, die da als „neu“ veröffentlicht werden. Die meisten Verlage gibt es nur noch als Logo in einem Konzern, mit ein paar „freien Mitarbeitern“ bestückt, die als Lektor, Übersetzer und Pressesprecher fungieren. Ich weiß von einem Buch, dessen Lektorat darin bestand, dass statt „Arschloch“ einfach „Depp“ eingesetzt wurde, und von einem anderen (russischen), in dem das Wort „Zigeuner“ durch „Roma“ ersetzt wurde.

Vorbei die Zeiten, da zum Beispiel das Ostberliner Ehepaar Mierau ständig schlaue sowjetische Texte übersetzte und in irgendwelchen DDR-Sammelbänden unterbrachte, wobei sie diese manchmal regelrecht reinschmuggeln mussten. Sie wurden trotzdem gefunden und gelesen. Ganz im Gegensatz zu Solschenizyns „Archipel Gulag“ etwa, der im Westen zigmillionenfach gedruckt wurde – aber nicht gelesen: In den 90ern fand man die drei Bände zu Hunderten in den Antiquariaten – alle ungeöffnet. Wahrscheinlich hatten die antikommunistischen Väter ihren studierenden Kindern reihenweise den „Gulag“ geschenkt, damit sie nicht allzu sehr nach links abdrifteten –und die hatten ihn nie gelesen.

Herzensangelegenheit

Fritz Mierau veröffentlichte im Übrigen nach der Wende eine zehnbändige Ausgabe des russisch-sowjetischen Priesters und Universalgelehrten Pawel Florenski in einem kleinen märkischen Verlag. Florenskis Briefe an seine Familie gaben die Anthroposophen in Dornach heraus. Beiden Editionsprojekten merkt man an, dass es sich dabei gewissermaßen um Herzensangelegenheiten handelte und nicht um einen prekären Job von Leuten, die „irgendwas mit Medien“ machen wollten.

„Die zwölf Stühle“ des sowjetischen Autorenduos Ilja Ilf und Jewgeni Petrow wurden in der DDR viel gelesen. Als nach der Wende im Westen eine neue „unzensierte Fassung“ veröffentlicht wurde, haben etliche Ostler sich auch diese „Fassung“ sofort gekauft und gekuckt, was denn da die Zensurbehörde unterdrückt hatte. Enttäuscht mussten sie feststellen, dass die „Stellen“ völlig belanglos waren.

Ähnlich ging es umgekehrt Thomas Brasch im DDR-Knast: Dorthin gelangte ein Exemplar des Buches „Cosmic“ aus dem März-Verlag über die Friedensbewegung aus der Sicht des Verlegers Jörg Schröder. Auf einigen Seiten gab es mit Filzstift eingeschwärzte Sätze; auf Anordnung des Gerichts. Die Knackis schafften es nur mühsam, sie frei zu legen und waren dementsprechend enttäuscht, dass dort nichts Interessantes stand.