FRANZ LERCHENMÜLLER ICH MELD MICH: Sanaa – ein arabischer (Alb-)Traum
Sanaa ist schön. Die Häuser, so braun wie Lebkuchen, verziert mit weißem Zuckerguss, erinnern an die Gebäude in bayerischen Weihnachtskrippen. Zickzack-Ornamente und Holzgitter schmücken die Fassaden. An den Türen aus Christusdornholz verrenken sich die Termiten seit Jahrhunderten die Kiefer. Keine Plakatwand, kein Bankautomat, keine Glasfassade stören den Eindruck. Minarette ragen hoch, Satellitenschüsseln sind das einzige optische Zugeständnis an die Gegenwart.
Über den Suk Bab al-Jemen schieben sich tief verschleierte Frauen. Kupfertöpfe glitzern in der Sonne, und der Schmied hämmert ein weiß glühendes Stück Eisen zu einer Hacke. Kinder steuern Schubkarren voller Brote durch die Menge. Männer mit Krummdolchen kauern zwischen braungoldenen Dattelblöcken und lassen Sago, Hirse und Sesam durch die Finger rinnen. Andere bummeln Hand in Hand. Sie legen sich die Arme über die Schultern, plaudern, lachen und bauen sich auch mal zornig voreinander auf. Nicht nur Waren werden hier getauscht, auch Gefühle: Jeder hat seine Freunde, jeder gehört irgendwo dazu. Und immer scheint in einer der 150 Moscheen ein Imam zu beten, singt ein Muezzin, murmeln Gläubige.
Wer sich nach einem langen Bummel auf ein gemütliches Mittagessen in einem der Straßenrestaurants freut, wird sich wundern. Essen ist im Jemen ein erbitterter Kampf mit Fingern und Fladenbrotfetzen gegen Bohnenpüree, Eier mit Tomaten – und die Zeit. Die Gaskocher fauchen, ein alter Mann schlägt wütend mit seinem Stock auf den Blechtisch und schreit nach seiner Mahlzeit, der Koch klappert wie der große Zampano mit seinen Kesseln und die Kellner drängen laut rufend mit glühend heißem Tongeschirr durch die Menge – eilig schlingt jeder Gast den Eintopf mit Bockshornklee hinunter und verschwindet.
Sanaa war schön.
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