Journalist und Schauspieler

HAUPTSTADT Tilo Jung mischt die Bundespressekonferenz auf. Das gefällt nicht allen Kollegen

VON DANIEL BOUHS

Die Kantine des Kreuzberger Rathauses hat für Thomas Wiegold gleich zwei Vorzüge: günstige Mettbrötchen und einen wunderbaren Ausblick über seinen Kiez. Journalist Wiegold – ehemals für die Nachrichtenagentur AP und den Focus tätig, heute Einzelkämpfer – trifft sich gerne hier. Auch, um über die Bundespressekonferenz zu reden, die von hier aus eine ganze Ecke weg ist. Aber das tut der Sache ja vielleicht auch ganz gut, Distanz.

Wiegold hat ein Problem mit Tilo Jung, Erfinder des WebTV-Formats „Jung & Naiv“. Von dem weiß man ja manchmal nicht so recht, ob er nun ein Kollege ist oder bloß in der Bundespressekonferenz in gewisser Regelmäßigkeit einen Journalisten spielt. „Ich nehme meinem Freund Tilo übel, dass er den Eindruck erweckt, nur er stelle die richtigen Fragen“, sagt Wiegold. Mit anderen Worten: Wiegold ist einigermaßen angefressen.

Die Bundespressekonferenz ist weltweit einmalig. Die Hauptstadtkorrespondenten selbst unterhalten den Saal mit der blauen Wand und den goldenen Lettern, den viele aus dem Fernsehen kennen und für eine Einrichtung der Regierung halten. Wenn dort Politiker Platz nehmen, dann sind sie aber einer Einladung der Journalisten gefolgt, nicht umgekehrt. Das zeugt von Demut.

Für Wiegold ist die Bundespressekonferenz, in der stets ein Journalist das Gespräch moderiert und abwechselnd seinen Kollegen und den anwesenden Politikvertretern das Wort erteilt, „ein Ort zivilisatorischer Errungenschaft“. Wiegold, der dieser Einrichtung schon seit den Bonner Zeiten angehört, will sie im Wesentlichen bewahren wie sie ist. Der Journalist, der auf Verteidigungspolitik spezialisiert ist, mag es nicht, wenn jemand das Ansehen dieser bald 66 Jahre alten Institution gefährdet.

„Nur ich hake nach“

Dieser jemand, also Jung, nutzt die Bundespressekonferenz als Bühne. Er twittert gerne Fotos, die einen fast leeren Saal zeigen – seine Botschaft: Nur ich interessiere mich noch. Er stellt gefühlt so viele Fragen wie alle anderen zusammen – Botschaft: Nur ich hake nach. Dann stellt er davon ein Video ins Netz. Botschaft: Nur ich bin transparent.

Auf Twitter berichtete Jung neulich, dass ihn ein Fernsehjournalist angeraunzt habe und „fast schon handgreiflich“ geworden sei. Die Kritik: Während andere auf heißen Kohlen säßen, stelle Jung immer weiter Fragen, die niemanden interessierten. Jungs Fragen lauten schon mal: „Wie definiert die Bundesregierung eigentlich Industrie 4.0?“ Hat ein Sprecher kein Statement vorbereitet, kommt er schon mal ins Schwitzen.

Jung ist ausdauernd, was von Journalisten eigentlich erwartet wird, doch das nervt manch einen Etablierten und das zeigen sie inzwischen auch. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes rollte etwa jüngst – Kameras hin oder her – offensiv mit den Augen, als Jung eine Frage jenseits der Topthemen stellte. Aber ist das, was Jung macht, nun wirklich ein Problem? Die entscheidende Frage ist vielleicht, wer sich hier eigentlich wem anpassen muss: Der ungewöhnliche Medienmacher an die Gepflogenheiten der altehrwürdigen Einrichtung oder doch die etablierte Institution an den Provokateur?

Jung hat über Wochen Anfragen der taz hierzu abgelehnt. Andere üben sich in Diplomatie, etwa Regierungssprecher Steffen Seibert. „Es gibt da alles“, sagt er auf die Frage, wie sich in der Bundespressekonferenz die Qualität der Journalistenfragen verändert habe. „Meist freundliche Sachlichkeit, aber auch beißende Ironie und gelegentlich aufwallender Unmut.“ Er fühle sich dort „fair behandelt“ und gehe „wirklich gerne hin“. Zu hören ist, dass die Veranstaltung – nicht zuletzt wegen Jung – teils derart ausufert, dass Seiberts Leute währenddessen hinter den Kulissen seinen Terminplan umbauen. Aber der Regierungssprecher hält das aus.

Gregor Mayntz, der für die Rheinische Post aus der Hauptstadt berichtet, sitzt derzeit dem Verein Bundespressekonferenz vor. Zu Jung sagt er, dass „der Vorstand das Frageverhalten seiner Mitglieder nicht kommentieren wird“. Aber auch, dass man sich bemühe, Regierungspressekonferenzen, die dreimal in der Woche stattfinden, nicht über Stunden hinzuziehen: „Jeder, der eine Frage hat, wird sie auch loswerden – bis dahin ist die Veranstaltung nicht vorbei. Und sie lebt auch davon, dass Kollegen ihre speziellen Fragen loswerden können, die nicht von der Tagesaktualität getrieben sind.“

Wenn man Mayntz, den Chef der Hauptstadtkorrespondenten, und Seibert, den Chef der Regierungssprecher, richtig interpretiert, dann ist so jemand wie Jung im etablierten System insgesamt willkommen – aller Quengelei der Kollegen zum Trotz. Problematisch werden dürfte für ihn allerdings sein jüngstes Projekt: Jung schlüpft in dem Satireformat Stephan Cybert in die Rolle des Regierungssprechers Steffen Seibert. Jung lebt seitdem die Doppelrolle.

Seibert selbst schweigt dazu. „Das werden wir beobachten“, sagt Mayntz. „Es geht schon darum, dass Journalisten fragen und diejenigen, die antworten, auf dem Podium sitzen.“

Was er gut kann: verwirren

Was Jung den Hauptstadtkorrespondenten neben diesem Verwirrspiel gebracht hat, ist die Öffnung der einst geschlossenen Regierungspressekonferenz für die Internetgemeinde. Bevor Jung dieses Polithappening besucht, ruft er seine Fans im Netz regelmäßig dazu auf, ihm Fragen mit auf den Weg zu geben. Manch einer fragt dann, warum das Treffen nicht gleich live im Netz übertragen werde – zumal es ohnehin ein Livesignal etwa für die Parlamentsbüros der großen Sender gebe.

Regierungssprecher Seibert hätte da nichts dagegen. Er sagt: „Wir sind Gäste. Die Regeln bestimmen die Gastgeber, und das sind die Journalisten selbst.“ Außerdem trage ja just sein Bundespresseamt bereits zur Transparenz bei: Es fertigt eine Abschrift der Regierungspressekonferenz an und stellt sie frei zugänglich auf die Seite der Bundesregierung.

Der Vorsitzende der Bundespressekonferenz wiederum winkt in diesem Punkt ab. Der Verein sei schließlich „keine Serviceeinrichtung, die vom Steuerzahler getragen“ werde. „Wenn es keinen Mehrwert für den Mitgliedsbeitrag gibt, dann müssen wir es lassen.“

Verteidigungsexperte und freier Journalist Wiegold agiert mit Jung, der bis vor Kurzem noch für das Journalistennetzwerk Krautreporter im Einsatz war, im Internet auf Augenhöhe. Er bloggt einen beträchtlichen Teil seiner Arbeit, lebt teils von dem Geld seiner Leser und zwitschert, was die Tastatur hergibt. Gegen eine Öffnung ist er dennoch. „Es ist ja ohnehin ein großes Missverständnis, anzunehmen, Pressekonferenzen müssten öffentlich sein“, sagt Wiegold. Einrichtungen wie die Bundespressekonferenz seien „keine Theateraufführung, sondern ein Arbeitsinstrument“, bei dem permanente Öffentlichkeit die Atmosphäre verändern dürfte: weniger Hintergrund, mehr Statement.

Livestream für Mitglieder

Für eine Sache setzt sich Wiegold aber doch ein: einen Livestream für die Mitglieder der Bundespressekonferenz. Das fände er „zeitgemäß, vor allem für freie Journalisten, die nicht in den Hauptstadtstudios arbeiten“.

Wiegold könnte dann im zehnten Stock des Kreuzberger Verwaltungsbaus das Geschehen in der Bundespressekonferenz verfolgen. Regierungssprecher Seibert lauschen, während er ein Mettbrötchen vertilgt und den Blick über seinen Kiez schweifen lässt. In diesem Szenario dürfte sogar „Freund“ Tilo Jung erträglich sein.