Flüchtlinge nicht willkommen

MASSENGRAB Flüchtlinge ertrinken zu Tausenden im Mittelmeer, weil Europa seine Grenzen gegen die Not anderer sichert. Aus Betroffenheit erwägen jetzt Politiker Maßnahmen zur noch besseren Einhegung der EU. taz-Leserinnen und taz-Leser diskutieren

■ betr.: „Frau Merkel, Sie sehen Handlungsbedarf?“, taz vom 21. 4. 15

400 Menschen gestorben am 12. April, 700 oder mehr Menschen am 19. April. Millionen Menschen warten im „Transitland“ Libyen, so die Politikersprache, auf die Möglichkeit der Flucht. Die Konsequenz: Empathielose Politiker flüchten sich weiter in Floskeln und flüchten weiter vor den Flüchtlingen. GERD JÜTTNER, Stuttgart

■ betr.: „Fünfzehnmal mehr Tote als im Vorjahr“, taz vom 20.4. 15

Statt hängender Mundwinkel und betroffener Mienen sollten sich unsere Regierung und auch der Verwaltungsmoloch EU schnellstmöglich an rascher Hilfe und langfristigen Lösungen beteiligen. Es ist nicht hinnehmbar, dass Anrainerstaaten die Versorgung derer, die ihre Flucht knapp überlebt haben, teilweise alleine stemmen müssen.

Die Diskussionen, die auf die Schleuser abzielen, denen man das Handwerk legen müsste, sind derzeit wenig zielführend und lenken von der eigentlichen Tragödie ab. Ich bin sicher, dass die europäische Gemeinschaft über ausreichende Mittel verfügt, um effiziente Hilfe leisten zu können. Solange dies nicht geschieht, machen wir uns mit jedem Toten mitschuldig. TANJA HIORT, Seevetal

■ betr.: „Trauer und Schmerz brauchen Zeit“, taz vom 18. 4. 15

Im Kölner Dom fand ein Trauergottesdienst mit anschließendem Staatsakt für die kürzlich bei einem Flugzeugabsturz in Frankreich ums Leben Gekommenen statt. Öffentliche Gebäude in Bremen und vermutlich auch anderswo trugen Trauerbeflaggung. In der Kirche waren Bundespräsident Gauck und Bundeskanzlerin Merkel anwesend.

Ich will ihnen ja eine gewisse Betroffenheit nicht absprechen, aber wo zeigen sie diese über die vielen Menschen, die auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer jämmerlich ertrunken sind oder über die 50.000 oder mehr Menschen, die täglich verhungern? Wo gibt es für sie Trauergottesdienste und Staatsakte? Müssten öffentliche Gebäude schon ihretwegen nicht ständig Trauerbeflaggung tragen?

JOACHIM FISCHER, Bremen

■ betr.: „Fregatten statt Frontex“, taz vom 21. 4. 15

Als es um die Seepiraterie vor Somalia ging, war im deutschen Bundestag sehr schnell ein Mandat für die Entsendung deutscher Kriegsschiffe zum Horn von Afrika möglich und die Finanzierung war gesichert. Aber da ging es ja auch nicht unbedingt um Menschen, sondern darum, Reedereien vor Lösegeldzahlungen zu schützen. Und dieses Mandat wurde regelmäßig verlängert.

Als vor Jahresfrist ca. 400 Menschen bei nur einem Bootsunglück im Mittelmeer ertranken, waren sich alle europäischen Politiker einig, dass etwas geschehen müsse. Aber was ist geschehen? Eine Finanzierung von „Mare nostrum“ war der EU zu teuer, im Gegensatz zur Finanzierung von Frontex. Jetzt wird zwar unter anderem davon gesprochen, die Flotte zu verdoppeln, die sich um die Rettung der Flüchtlinge bemüht, aber wieder wird davon geredet, die Schlepperbanden zu zerschlagen und die Situation der Menschen in den Herkunftsländern zu verbessern. Ist die Bundesrepublik auf einmal in der Lage, Kriege oder Bürgerkriege zu stoppen oder zu verhindern? Ist sie auf einmal in der Lage, die wirtschaftlichen Bedingungen in den Ländern der Sahelzone und darüber hinaus zu verbessern? Hier wird nur erneut leeres Stroh gedroschen, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. ALBERT WAGNER, Bochum

■ betr.: „Fünfzehnmal mehr Tote als im Vorjahr“, taz vom 20.4. 15

Das ist einfach schrecklich! So wie der Opfer des Flugzeugabsturzes eine Schweigeminute gewidmet wurde, sollte auch der vielen toten Flüchtlinge gedacht werden. Die Flüchtlinge sollten nicht vergessen werden.

JULIA ENGELS, Elsdorf

■ betr.: „Frau Merkel, Sie sehen Handlungsbedarf?“, taz vom 21. 4. 15

Deutschland gibt pro Jahr über 30 Milliarden Euro für Militär aus, aber nur 29 Millionen für den Friedensdienst. Das sagt alles. Es wird also nicht vorsorglich gearbeitet für den Frieden, für soziale Projekt – und auch nicht für Flüchtlinge. Dafür müsste umgedacht, umorganisiert werden, und das fällt einer Frau Merkel bekanntlich schwer. Ich möchte dazu aufrufen, an diesem Tatbestand zu rütteln und die Regierung aufzufordern, Geld aus dem Fonds für Militär zum Beispiel für „Mare nostrum“ einzusetzen!

INGE MERTES, Wentorf

■ betr.: „400 Menschen gestorben“, taz vom16. 4. 15

Ich finde Bibelzitate in der taz durchaus auch mal erfrischend. Und ich finde es richtig, wenn die taz auf die ertrunkenen Bootsflüchtlinge im Mittelmeer aufmerksam macht. Aber das Bibelzitat war unpassend. Was meint Jesus denn mit den „geringsten meiner Brüder“? Er meint damit den Kinderschänder, den Mörder, den brutalen KZ-Wächter, die Nazibraut, den Primitivling, den erbarmungslosen Vergewaltiger, Menschen einer sehr geringen Menschlichkeit und Moralität, die man verachtet, zu Recht verachtet, und die man auch verachten darf. Auch Menschen dieser geringen Menschlichkeit sind wir Humanität schuldig. Das genau meint hier das „geringste“. Aber die ertrunkenen Bootsflüchtlinge waren ganz normale Leute, die vor dem Elend ihrer Heimatländer geflohen sind, und in keinem Fall die „geringsten meiner Brüder“. MARTIN LINDHOFF, Hamburg

■ betr.: „400 Menschen gestorben“, taz vom 16. 4. 15

Wir schätzen eure Arbeit mehr und mehr. Glückwunsch. Ganz besonders zu dieser tollen Todesanzeige. Der Theologe in mir freut sich speziell über das gewählte Motto aus Matthäus 25. Dass ihr die positive Seite der negativen von Vers 45 vorgezogen habt, möge all denen als Einladung gelten, die zur Rettung von Menschenleben beitragen können. URSULA und GERHARD VÖHRINGER, Tübingen

■ betr.: „Mit Waffen gegen Schlepper“, taz.de vom 22. 4. 15

Statt die Schleuserboote mit Waffengewalt zu zerstören, sollten wir erst mal die Waffenproduktion und den Waffenexport einstellen; wir könnten Heckler & Koch und Konsorten als Nutznießer des Waffenhandels für die Kosten der Flüchtlingswelle zur Kasse bitten. Statt Verwaltungsbeamte nach Südeuropa zu schicken, sollten diese nach Frankfurt in die Hochhäuser gehen, um dort die Lebensmittelspekulation einzustellen. Staatsanwälte könnten statt gegen illegal Eingereiste nun gegen Wirtschaftskriminelle, Land raubende Konzerne, Umwelt vergiftende Pflanzenschutzmittelhersteller und schlampernde Ölproduzenten vorgehen. Ach sorry, ich vergaß – davon lebt ja unsere Wohlstandsgesellschaft, deshalb lassen wir mal alles beim Alten. robby, taz.de

■ betr.: „Sondergipfel für Flüchtlingssterben“, taz vom 22. 4. 15

Es könnte ganz einfach sein, aus Afrika in die EU zu flüchten: Man müsste einfach nur über die Grenze spazieren. Schließlich gehören auch Gebiete auf dem afrikanischen Kontinent zur EU, insbesondere die Städte Ceuta und Melilla. Dieser einfache und ungefährliche Fluchtweg wird von der europäischen Politik gewaltsam verhindert: Sechs Meter hohe Grenzzäune in mehreren Reihen, Kontrolltürme, Infrarotkameras, Bewegungsmelder, Stacheldraht und Grenzsoldaten sichern die Grenze, an der schon mehrere Menschen ihr Leben verloren haben. Darum müssen Flüchtlinge den lebensgefährlichen Umweg über das Mittelmeer nehmen. Und darum müssen Flüchtlinge aus Afrika professionelle Fluchthilfe von „Schleppern“ in Anspruch nehmen.

Im 20. Jahrhundert verloren weit über 100 Menschen ihr Leben, als sie versucht haben, aus der DDR nach Westdeutschland zu fliehen. Und natürlich haben „wir“ im Westen die DDR verantwortlich gemacht für den Tod der Menschen, die in Havel oder Spree ertrunken sind, als sie illegal über die Grenze zu gelangen versuchten. Zu Recht, schließlich hat die DDR ihre Grenzen so scharf gesichert, dass eine Flucht auf dem Landweg kaum möglich war.

Heute sterben Tausende Flüchtlinge im Mittelmeer, weil die EU ihre Grenzen so massiv und skrupellos sichert, dass eine ungefährliche Einreise auf dem Landweg nicht möglich ist. Aber sowohl Politiker als auch die meisten Medien machen dafür nicht diejenigen verantwortlich, die diese Grenzanlagen errichtet haben. Stattdessen findet eine beispiellose Hetze statt gegen Menschen, die versuchen, Flüchtlingen eine Einreise in die EU zu ermöglichen: gegen professionelle Fluchthelfer, sogenannte Schlepper.

Das ist widerwärtig und menschenverachtend. Offenbar ist ein afrikanisches Menschenleben einfach nicht so viel wert, wie es das Menschenleben von (ost-)deutschen Flüchtlingen war. HOLGER VOSS, Münster

■ betr.: „Umdenken nicht in Sicht“, taz vom 22. 4. 15

Zu dem Umdenken gehört vor allem, dem Treiben großer Konzerne entgegenzutreten, die mit Fabrikschiffen entlang der Küsten den Fischern – und damit der Bevölkerung – dort ihre Lebensgrundlage entziehen. Es gehört auch dazu, jeden Export von subventionierten Produkten in Länder der „Dritten Welt“ konsequent zu beenden. Bisher hat niemand ernstzunehmende Position bezogen gegen den Ausverkauf riesiger landwirtschaftlicher Flächen für die Massenproduktion von etwa Palmölen oder „Biosprit“-Zusätzen. Auch das entzieht den Menschen die Möglichkeit, sich selbst zu versorgen. Niemand stellt sich gegen die clevere chinesische Strategie, mit ein paar Bestechungsgeldern, einer Bahnlinie hier und einer Brücke dort Regierungen für sich zu gewinnen, um die Länder dann schamlos ausbeuten zu können. Die unglaubliche ökologische Katastrophe von Öl- und Wertstoffförderung, die ohne ein Minimum an Rücksicht von allen finanzkräftigen Investoren betrieben wird, findet kaum Erwähnung bei den Verantwortlichen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen verstärken das Elend. F. LOTHAR WINKELHOCH, Gummersbach

■ betr.: „Mit Waffen gegen Schlepper“, taz.de vom 22. 4. 15

Noch vor wenigen Wochen forderten Polen, Estland, Lettland und Litauen vehement die Solidarität ihrer Verbündeten gegen eine gefühlte Bedrohung durch Russland ein.

Heute sind sie nicht einmal bereit, Menschen aufzunehmen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, um ihr Leben zu retten. jhwh, taz.de