Mit 283 Seiten gegen die Armut

SOZIALPOLITIK Nach elf Monaten Armutsausschuss sind die Parteien sich einig: Armut ist ein wichtiges Thema. CDU und Linke fordern mehr Lehrer

Am Donnerstag war „Zukunftstag“ bzw. „Girl’s Day“. Vor allem Mädchen sollen dabei in Berufe schnuppern können, in denen bis heute überdurchschnittlich viele Männer vertreten sind. Auch die taz.bremen hatte Besuch: Marlene, Leander, Lotta und Lina begleiteten den taz.Kinderbeauftragten Klaus Wolschner zur Debatte über den Abschlussbericht des Armuts-Ausschusses.

■ Die 13-jährige Marlene sagte dazu: „Die ersten drei Redner haben alle nur dem Ausschuss gedankt und das dreimal wiederholt. Dabei haben die Abgeordneten elf Monaten lang getagt und keine konkreten Maßnahmen getroffen.“ Leander irritierte, dass die Politiker immer nur bei Reden ihrer eigenen Parteimitglieder klatschten: „Ich glaube nicht, dass sie sich immer einig waren“, so der 12-Jährige.  (taz)

283 Seiten lang ist der „Armutsbericht 2014“, dutzende ExpertInnen haben den Mitgliedern des Parlamentsausschusses zugearbeitet, deprimierend ist die Bilanz: Rund ein Drittel der Bevölkerung der beiden Städte gilt als „arm“ oder „armutsgefährdet“.

In dem Bericht sind die besonders armutsgefährdenden Lebenslagen aufgeführt – alte Menschen, Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund – und in den 133 „Empfehlungen“ gibt es Hinweise, was staatliche Politik tun könnte. „Viel Papier“, bekannte der Ausschussvorsitzende Thomas vom Bruch (CDU). Konsequenzen ziehen müsse man – in der nächsten Legislaturperiode.

Die grüne Sozialsenatorin Anja Stahmann bedankte sich für die Arbeit des Ausschusses, an der MitarbeiterInnen ihrer Behörde natürlich Anteil hatten, und erklärte, der Sinn des Armuts-Ausschusses liege für sie darin, dass Bürgerschaftsabgeordnete, die sich sonst mit anderen Themen beschäftigen, mit der Lage konfrontiert würden – und spielte auch in Sachen Konsequenzen den Ball zurück ans Parlament: Letztlich entschieden die Abgeordneten wofür es Geld geben soll – und wofür nicht.

Mehr Lehrer etwa forderte die CDU und mehr Ganztagsschulen. Bisher lehnt die Koalition das mit Hinweis auf die Kosten ab. Thomas vom Bruch könnte sich sogar ein verbindliches Vorschuljahr vorstellen, um die Benachteiligungen von Kindern, die im Elternhaus nicht hinreichend Sprachkenntnisse erwerben konnten, auszugleichen. Kristina Vogt forderte Ausgleichsstunden für Klassenlehrerinnen in Grundschulen, damit die bei bestimmten Familien Hausbesuche machen können, weil die Autorität der LehrerInnen durch Sozialarbeiter oft nicht zu ersetzen sei.

Mehr Zeit für „aufsuchende Sozialarbeit“, mehr Kompetenzen, mehr Zusammenarbeit mit den Eltern – und das „so früh wie möglich“, das war Konsens unter den Mitgliedern des Ausschusses. Weil der Zusammenhang von Armut und Bildungschancen so eng ist, sollten die erforderlichen Maßnahmen „aus einer Hand“ erfolgen, forderte vom Bruch. Die Aufspaltung von Bildungs- und Sozialressort blockiere vieles. Armutsbekämpfung müsse zu einem „Schwerpunkt in der kommenden Legislaturperiode werden“, formulierte der CDU-Politiker, die Politik werde daran gemessen, dass sie Maßnahmen aus dem Armutsbericht entwickle.

Das konnten die Redner von SPD und Grünen kaum toppen. Das Asylbewerberleistungsgesetz sei „Armut per Gesetz“, spielte Matthias Güldner (Grüne) den Ball nach Berlin. Die Volksseele zum Kochen brachte er mit der Forderung, den vielen Reichen sollte ein Beitrag zur Armutsbekämpfung abverlangt werden. „So ein Unsinn“, rief CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp dazwischen.  KLAUS WOLSCHNER