„Die Hysterie war groß“

VORTRAG Der Radikalenerlass bedeutete für viele Hamburger Linke ein faktisches Berufsverbot

■ 38, promoviert an der Uni Hamburg über den „Radikalenerlass“. Sie ist Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung.

taz: Frau Jaeger, wie strikt hat Hamburg den sogenannten Radikalenerlass von 1972 umgesetzt?

Alexandra Jaeger: Hamburg war Vorreiter dieser Praxis. Schon im November 1971 beschloss das Land, dass Bewerber für den öffentlichen Dienst abgelehnt werden konnten, wenn sie Mitglied einer „verfassungsfeindlichen“ Organisation waren. Andererseits hat Hamburg den Beschluss aber etwas liberaler ausgelegt als andere Bundesländer. Verfahren wurden in der Regel gegen Funktionäre radikaler Organisationen, nicht gegen einfache Mitglieder geführt – insgesamt waren es rund 200.

Welche Gruppen waren das?

Die Hauptzielrichtung in der damaligen Zeit waren kommunistische Organisationen. Nach 1968 bildete sich eine Vielzahl kleiner Gruppen, die häufig auch explizit revolutionäre Gesellschaftsveränderungen angestrebt.

Und für die Betroffenen bedeutete der Erlass ein Berufsverbot?

Ja und nein. In Hamburg waren die meisten Betroffenen Lehrer, Sozialpädagogen und Erzieher. In der Fachrichtung haben sich linke Studenten konzentriert, weil sie sich kritisch mit der Gesellschaft auseinandersetzen wollten. Im Schulbereich bedeutete der Beschluss natürlich, dass man seinen Beruf nicht ausüben konnte. Einige Lehrer sind aber gerade zu Anfang an Privatschulen untergekommen.

Aus Angst vor Unterwanderung der Institutionen?

Das ist schwer einzuschätzen. Gruppierungen links von der SPD waren schon sehr stark zu dieser Zeit, aber die antikommunistische Hysterie war ebenso groß. Trotzdem gab es nur eine geringe Zahl von Lehrern, die ihre Schüler wirklich indoktriniert haben. Das war ja die Angst, dass die Lehrer die Kinder politisch beeinflussen. Solche Fälle waren aber die Minderzahl der Verfahren. Viele Betroffene sind schon bei der Bewerbung für den öffentlichen Dienst für ihre Parteizugehörigkeit bestraft worden.

Gab es Widerstand?

Ja, großen sogar. Das Thema war neben dem Terrorismus eines der großen Themen der 70er-Jahre. Die Politik hatte nicht mit so viel Protest gerechnet. Aber der Radikalenbeschluss hatte einen hohen Solidarisierungseffekt, weil einige bekannte und akzeptierte Menschen an den Hochschulen betroffen waren. Wohl auch deswegen wurde die Regelanfrage über Bewerber beim Verfassungsschutz 1979 abgeschafft.  INTERVIEW: REA

„Auf der Suche nach Verfassungsfeinden“: 18 Uhr, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Eintritt frei