KOMMENTAR VON ERIC BONSE ZUR FLÜCHTLINGSPOLITIK DER EU
: Umdenken nicht in Sicht

Es bräuchte sichere, legale Wege der Einwanderung. Genau das ist nicht geplant

Wie viele Menschen müssen sterben, damit die EU einen Sondergipfel einberuft? Seit Montag kennen wir die brutale und zynische Antwort: 1.000 müssen es schon sein. Denn noch wenige Tage zuvor, als „nur“ 700 Flüchtlinge elendig im Mittelmeer ersoffen waren, drückten sich Brüssel und Berlin vor der Verantwortung. Kommissionschef Jean-Claude Juncker wollte ebenso wenig mit dem Problem zu tun haben wie Ratspräsident Donald Tusk oder Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Nun haben sie ihre Meinung geändert, endlich. Am Donnerstag wird es also einen EU-Sondergipfel zur „Flüchtlingsproblematik“ geben, ein Zehnpunkteplan liegt bereits vor. Doch ein Grund zur Entwarnung ist das nicht. Ein echtes, ernst gemeintes Umdenken zeichnet sich nämlich keineswegs ab. Das würde nämlich voraussetzen, die „Festung Europa“ infrage zu stellen und legale, sichere Wege der Einwanderung zu erschließen. Genau das ist jedoch bisher nicht geplant.

Die EU will zwar mehr für die Rettung Schiffbrüchiger tun, doch gleichzeitig will sie die umstrittene Grenzschutzagentur Frontex aufrüsten. Diese soll künftig sogar Schleuserboote vernichten dürfen. Die Schleuser werden zu Feinden erklärt, ein ganzes Arsenal soll ihnen das schmutzige Handwerk legen. Kriminalisierung und Militarisierung werden das Problem jedoch nicht lösen, denn die Ursachen liegen woanders: im Elend und Krieg jenseits des Mittelmeers. Darauf hat die EU aber keine Antwort.

Eine weitere bittere Einsicht kommt hinzu: In diesem Fall ist die EU nicht die Lösung, sondern Teil des Problems. Mit ihren restriktiven Asyl- und Einwanderungsregeln hat sie die Menschen erst auf die Boote getrieben, denn auf legalem Wege einreisen können sie nicht. Mit ihren Gipfelprozeduren und Abstimmungsverfahren hat sie es erst möglich gemacht, dass Deutschland und andere Nordländer die betroffenen Staaten am Mittelmeer, etwa Italien und Malta, ausbremsen und lähmen konnten.

Die wollten nämlich schon vor zwei Jahren handeln, bei der ersten großen Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa. Doch Merkel sagte Nein. Das wird die Kanzlerin diesmal zwar nicht mehr wagen – der öffentliche Druck ist zu groß, dieser Sondergipfel muss Ergebnisse liefern. Doch humaner wird Europa deshalb nicht werden. Bestenfalls ein bisschen weniger brutal und zynisch.