Literaturhaus-Posse
: Hamburger Handstreich

Man denkt spontan an die Dolchstoß-Legende, und zur aktuellen Mainstream-Kultur passt dieses Event zweifellos: Ohne Not hat vor anderthalb Wochen der Vorstand des international renommierten Hamburger Literaturhauses die Vertragsverlängerung der langjährigen Leiterin Ursula Keller verweigert. Der Vertrag wurde bislang alle drei Jahre verlängert, jüngst im vorigen Jahr. Bis 2005 wäre also Zeit gewesen, über eine eventuelle Nachfolge zu verhandeln.

Doch des Vorstands Ratschlüsse sind unerforschlich: Handstreichartig wurde per Pressemeldung publiziert, dass Hoffmann & Campe-Verlagsleiter Rainer Moritz ab 2004 kaufmännischer Geschäftsführer, ab 2005 auch programmatischer Literaturhaus-Leiter sein soll. Eine klare Überforderung nur einer Person. Bislang sind beide Ämter getrennt.

Man schätze Kellers Handschrift, könne sich „aber auch eine andere Handschrift vorstellen“, so die lapidare Begründung des Literaturhaus-Vorstands, der bislang keine Unzufriedenheiten mit Frau Kellers Arbeit offenbart hatte. Eigenartig auch, dass mit Moritz ein Kandidat gewonnen wurde, der dieses Jahr gleich durch zwei Skandale aufgefallen ist: durch die Veröffentlichung von Ulla Ackermanns komplett erfundene Erinnerungen Mitten in Afrika und durch die Unterlassungsklage Herbert Grönemeyers, der die Weiterverbreitung einer von ihm nicht autorisierten Biographie verhindern möchte. Moritz nahm all dies – offiziell zumindest – gelassen. Dass sein Amtsantritt aber bereits zwei Jahre im Voraus verkündet wird, lässt denn doch auf eine gewisse Nervosität schließen. Genauso wie die Tatsache, dass der Vorstand Frau Keller erst nach Lancieren der Pressemeldung informierte.

Im Übrigen ist bei Vorstands-Entscheidungen solcher Tragweite die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung nötig. Diese wurde jetzt in einem von etlichen Kulturgrößen unterzeichneten offenen Brief eingefordert. Quo vadis, Hamburg? Petra Schellen