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: Skandal in Frankreich

Tarek Ramadan bezeichnet sich als „Islamologe“, als „Philosoph“ und als „Pädagoge“. Als solcher lehrt er an den Universitäten Genf und Fribourg. Aber sein größtes Publikum hat der 41-Jährige in den Arbeitervorstädten des benachbarten Frankreichs. Dort ist er das Idol von jungen Leuten aus Einwandererfamilien. In seinen Veranstaltungen sitzen sie nach Geschlechtern – Mädchen mit Kopftuch und Jungen mit Bart – und lauschen Erklärungen über den „europäischen Islam“. Nun ist Ramadan schlagartig auch dem großen Publikum bekannt geworden: Der Innenminister öffnete ihm den Zugang zu einer der größten politischen Sendungen des staatlichen Fernsehens. Am Donnerstagabend diskutierte Sarkozy in der Sendung „100 minutes pour convaincre“ – 100 Minuten, um zu überzeugen – auf „France 2“ mit Ramadan.

In den 90er-Jahren war Ramadan vorübergehend die Einreise nach Frankreich verweigert worden. Ein knappes Jahrzehnt später beginnt er seinen TV-Auftritt mit schnell aufgesagten Verurteilungen von Attentaten in aller Welt. Dann versucht der Innenminister, den Intellektuellen aus der Reserve zu locken. Er soll eingestehen, dass es ein antisemitischer Fehler ist, „der Jude Levy“ zu schreiben. Doch Ramadan weicht aus und spricht lieber von den vielen Rassismustypen, die alle gleich verurteilenswert seien. Der Innenminister verlangt, dass der Intellektuelle die Steinigungen von Ehebrecherinnen in Nigeria verurteilt. Ramadan will nur ein „Moratorium“ – eine Pause – verlangen. Der Innenminister fragt, warum der Intelektulelle ein freundliches Vorwort in ein Buch schreibt, das Schläge gegen Frauen als „pädagogische Maßnahme“ empfiehlt. Ramadan antwortet, dass er nicht mit allem einverstanden sei, was in den Büchern steht, die er einleitet.

Außer dem „Islamologen“ diskutieren sechs weitere Männer mit dem Innenminister. Darunter der Chef der französischen Rechtsextremen, Jean-Marie Le Pen. Frauen sind nicht dabei. Der Innenminister und das französische Staatsfernsehen haben einen Kampf unter Männern organisiert. Der ist geraten wie zu erwarten: Zeitungsschlagzeilen im Vorfeld. Hohe Einschaltquote während der Sendung. Sportliche Anerkennung für das Durchhaltevermögen des Innenministers. Und inhaltlich ein laut polterndes Aneinandervorbeigerede. DOROTHEA HAHN