Tausch mit fettem Gewinn

Die Musikindustrie bekämpft Online-Tauschbörsen. Dabei liefern sie wertvolle Marketingdaten.Denn nur jene Popstars, die häufig im Internet getauscht werden, sind tatsächlich beliebt

Falls Michael Jacksons einziger neuer Titel „One More Chance“ doch kein solcher Hit wird wie die alten Stücke auf seiner Revival-CD, liegt es ganz sicher nicht an den aktuellen Fernsehbildern, die den Superstar in Handschellen auf dem Weg zum Gericht zeigten. Die Musikindustrie ist es, die ihm heute den Weg nach oben verbaut, ganz gleich, was die Gerichte über den Vorwurf des Kindesmissbrauchs entscheiden werden. Denn die großen Musikkonzerne wissen nicht mehr, wie man heute einen Star macht oder ihn vermarktet. Auch wenn er Jackson heißt. Sie jammern lieber über ihre Verluste, statt ihre besten Zugpferde dorthin zu stellen, wo ihre besten Kunden sitzen: In die Tauschnetze von Gnutella, Kazaa oder Grokster.

Nur was sich dort bewährt, unter den Fans, die keine Ladezeit scheuen, um ihren Liebling möglichst früh auf der Festplatte zu haben, hat gute Chancen, später auch mal im Laden verkauft zu werden: So läuft das Geschäft schon heute, und in Zukunft erst recht. Die Offline-Umsätze mit CDs sinken, die Teilnehmerzahlen der Tauschnetze dagegen steigen. Unter dem Eindruck des ersten Napster-Booms kamen ein paar weitsichtige Amerikaner schon vor drei Jahren auf die Idee, aus diesen Fakten profitable Schlüsse zu ziehen. Sie gründeten die Firma BigChampaign, und begannen das Verhalten der User in Tauschnetzen systematisch zu erforschen. Heute unterhält BigChampaign Büros in Los Angeles und Atlanta und bietet gegen gutes Geld seine Beraterdienste der gesamten Medienbranche an.

Völlig kostenlos sind unter www.bigchampaign.com die wöchentlich aktualisierten Topcharts der Musiktitel nachzulesen, die zur Zeit am meisten getauscht werden – illegal, wie die Medienindustrie nach wie vor meint. Tatsächlich aber ist diese Information weit mehr Geld wert als die Staranwälte gekostet haben, die seinerzeit Napster zur Strecke brachten.

Klügere Medienmanager wissen das längst. Kompetent und ungeniert informiert die Website von BigChampaign über alle wichtigen Tauschnetze. Sie bietet Einsteigerhilfe an, und die angeblich so kriminellen User dürfen ihre eigenen Wettkämpfe um die Plätze der Band veranstalten, deren Songs sie jeweils am liebsten zum Herunterladen anbieten. Auch das professionelle Beratergeschäft läuft auffällig gut. Ein Sprecher der Firma Maverick Records in Los Angeles gibt freimütig zu: „Eigentlich war die Medienindustrie ja immer auf Hypes aus. Zum ersten Mal können wir jetzt Marktentscheidungen auf der Grundlage dessen treffen, was unsere Kunden tatsächlich tun und sagen, statt immer nur auf die Charts der Radiostationen zu starren.“

Der Anfang einer Einsicht. Doch so weit ist inbesondere der Dachverband der amerikanischen Tonträgerindustrie RIAA noch lange nicht. Deshalb müssen Jacksons Freunde in den Tauschnetzen heute noch leer ausgehen. Wer diese Woche versucht hat, „One More Chance“ beispielsweise im Netz von Gnutella herunterzuladen, hat nur Datenmüll bekommen. Zwar war der Titel gleich mehrfach gelistet, aber keine Datei, die so hieß, enthielt Jacksons Musik. Bestensfalls ein paar verstümmelte Takte waren zu hören.

Die eigene Logik der Tauschnetze verhindert bisher ziemlich erfolgreich, dass Fälschungen dieser Art überhand nehmen. Denn die Betrüger wären viel zu schnell selbst betrogen. Der Verdacht liegt daher nahe, auch wenn er nie zu beweisen sein wird, dass die Musikindustrie selbst hinter solchen Sabotagen steckt. Dieses Mittel der Abschreckung wäre sogar harmlos verglichen mit den Methoden, mit denen die RIAA in diesem Jahr gegen Online-Musikbörsen vorgegangen ist. Ein US-Bundesgericht verhinderte zwar, dass namentlich identifizierbare Betreiber wie Grokster ihre Netze schließen mussten. Daraufhin sind ersatzweise aber einzelne Nutzer mit Vorladungen zum Gericht bedroht worden – selbst dann, wenn sie nur ein paar wenige Stücke zum Tausch anboten. Nach amerikanischem Recht ist dies der erste Schritt zu Schadensersatzklagen in Millionenhöhe.

Lockvögel wie die gefälschten Jackson-Songs könnten dazu dienen, vor Gericht verwertbare Tatbestände zu konstruieren. Die wütenden Proteste von Bürgerrechtlern haben die RIAA bisher nicht weiter beeindruckt. Aber auch Michael Jackson war „fassungslos“, wie er in einem Interview sagte. Es sei wohl nicht sehr klug, „Leute in den Knast“ zu schicken, bloß weil sie seine Musik aus dem Netz holen, meint er. Genau das aber möchte die RIAA nach nie dementierten Berichten der Fachpresse am liebsten auch technisch verhindern: Sie gab ein Störprogramm in Auftrag, das in die MP3-Files eingebaut werden kann und bei jedem Zugriff auf eine Tauschbörse die Verbindung des Computers zum Internet abbricht.

NIKLAUS HABLÜTZEL